Die Jäger des Lichts (German Edition)
beängstigender, gieriger Geschwindigkeit vorwärts. Der Fluss ist zum wütenden Raubtier geworden und schäumt brodelnd und zornig in die Berge. Nicht um sie herum oder über einen steilen schmalen Pass, sondern irgendwie direkt in das Herz der Finsternis.
Ich lege die Hand auf Sissys Schulter und schüttle den Kopf. »Es ist zu spät, Sissy. Inzwischen ist der Fluss zum Grab geworden. Wir würden mit Sicherheit ertrinken.«
Sie kneift die Augen zusammen und schiebt frustriert das Kinn vor. Sie weiß, dass ich Recht habe. Es gibt nichts mehr zu sagen. Der schneidende Wind peitscht das aufgewühlte Wasser in unsere Gesichter. Den Blick starr nach vorn gerichtet fragen wir uns, was uns erwartet.
Fünf Minuten später hört es plötzlich auf zu regnen, und die Temperatur fällt. Die Nacht wird noch dunkler, als würde schwarze Tinte über uns ausgeschüttet. Der Fluss dröhnt in unseren Ohren, ein hallender, polternder Tenor.
Wir sind in irgendetwas hineingefahren. Einen höhlenartigen Tunnel in den Bergen im Osten.
»Ich seh nichts, ich seh nichts«, murmelt David neben mir. »Wir sind in dem Berg, wir sind in dem Berg, irgendwie sind wir in dem Berg.«
Ich schließe die Augen und öffne sie wieder. Es macht keinen Unterschied, es bleibt das gleiche undurchdringliche Schwarz und dann Schwarz und Schwarz und Schwarz, bis die Orientierungslosigkeit beinahe körperlichen Schmerz auslöst. Alles ist schwärzer, schneller, nasser, lauter geworden. »Fertig machen!«, ruft Sissy. Wir hocken uns mit untergehakten Armen und verbunden durch das Seil auf das Deck. »Stützt euch auf einem Knie ab und bleibt möglichst tief am Boden! Und seid bereit für den Absprung …«
Ihre Stimme geht in dem Dröhnen unter. Ich kauere mich auf ein Knie und hebe Ben neben mir hoch. Ich spüre Gischt im Gesicht. Wir müssen nur Sekunden von der Kante des Wasserfalls entfernt sein.
»Wenn wir über die Klippe gehen, springt möglichst weit vom Boot weg!«, rufe ich, ohne zu wissen, ob sie mich bei dem Lärm überhaupt verstehen können. »Rollt euch zusammen und lasst das Seil nicht los. Egal wie tief wir fallen, lasst das Seil nicht los!« Ich blicke zur Seite, um zu sehen, ob mich irgendjemand gehört hat, aber ich sehe gar nichts. Ich spüre nur ihre Anspannung, die Furcht, die sie verströmen.
Dann sind wir am Wasserfall. Das Tosen wird ohrenbetäubend.
Ich öffne den Mund zu einem Schrei, doch sogar meine Furcht ist verflogen.
Das Boot neigt sich nach vorn, und in dem Moment vor dem freien Fall und der flauen Leere im Magen möchte ich nur noch Sissys Hand halten. Tatsächlich finden sich unsere Hände im Dunkeln, fassen sich ungestüm und fest, aber blutwarm und menschlich. Und dann ist der Wasserfall da, und dann nicht mehr, und wir stürzen in einen schwarzen Schlund.
Wir fallen eine gefühlte Ewigkeit.
7
Als ich die Hoffnung, je auf dem Grund anzukommen, gerade aufgegeben hatte, trifft uns das Wasser mit der erschütternden Wucht einer Betonwand.
Und dann bin ich in einer trüben Dunkelheit, in einem Strudel aus Blasen und dem ohrenbetäubenden Dröhnen von Wasser, das krachend auf Wasser prallt. Das Tau um meine Brust zieht sich fest wie ein Metallseil und reißt meinen Kopf zurück. Eine Hand tastet über mein Gesicht, ein Bein tritt mich. Ich weiß nicht, wo oben und unten ist.
Folge den Blasen nach oben , sage ich mir. Und das tue ich, heftig strampelnd. Das Seil zerrt an meiner Brust. Sie sind alle unter mir. Ich schleppe die ganze Kette von Körpern allein.
Wild mit Armen und Beinen rudernd breche ich aus flüssiger Dunkelheit durch die Oberfläche. Ich kann keinerlei Konturen erkennen, nur schwarze Silhouetten. Ich schiebe mich nach vorn und greife nach einer Schwärze, die dunkler ist als ihre Umgebung. Meine Hand stößt auf etwas Festes,und es fühlt sich an wie eine Erlösung. Ich packe mit beiden Händen zu und ziehe mich hoch. Ich bin auf einem Felsen.
Ich drehe mich um und ziehe das Seil zu mir. Und wie durch ein Wunder tauchen sie einer nach dem anderen prustend, hustend, schluchzend und fluchend auf.
Lebendig.
8
In jener Nacht drängen wir uns in einem ungeordneten Haufen auf dem harten Kalksteinfelsen zusammen. Wir haben keine Ahnung, wie groß oder klein er ist, und nicht die Absicht, es herauszufinden. Wir kauern uns aneinander, so froh, am Leben zu sein, dass unsere Körper von erleichtertem Schluchzen geschüttelt werden.
»Wir warten bis zum Morgen«, sagt Sissy. »Wir warten auf
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