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Die Jäger des Lichts (German Edition)

Die Jäger des Lichts (German Edition)

Titel: Die Jäger des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Fukuda
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anderes zu tun, als in die Sterne über uns zu starren; sie wirken so festgemeißelt, dass es mir vorkommt, als würden wir uns kaum von der Stelle bewegen. Nur an den leiser werdenden Schreien der Jäger merke ich, dass wir wieder Fahrt aufgenommen haben.
    Epap kommt mit einem lauten Stöhnen zu sich. Die Jungen eilen zu ihm, doch ich bin schon auf den Beinen, um sie beiseitezudrängen.
    »Haltet euch von ihm fern!«, sage ich.
    »Was ist los?«, fragt Sissy.
    »Er könnte sich infiziert haben. Vielleicht verwandelt er sich.«
    An ihren leeren Blicken erkenne ich, dass sie keine Ahnung haben, wovon ich spreche. »Er wurde von einem der Enterhaken am Kopf getroffen, und die Haken waren mit Speichel bedeckt.« Ich bette Epap behutsam wieder auf das Deck und überprüfe seine Lebenszeichen. »Wenn nur ein kleiner Tropfen Speichel in den Organismus eindringt, verwandelt man sich. Man wird einer von ihnen.«
    Sie mustern Epap nervös, der mich seinerseits mit angstvoll aufgerissenen Augen anstarrt.
    »Ihr habt bloß noch nichts davon gehört, weil Verwandlungen selten sind. Normalerweise überleben wir einen Angriff nicht, sondern werden einfach gefressen.«
    »Wie lange dauert dieser … Verwandlungsprozess?«, fragt Sissy mit sorgenvollem Gesicht.
    »Es geht ziemlich schnell. Irgendwas zwischen ein paar Minuten und mehreren Stunden. Es hängt davon ab, wie viel Speichel übertragen wurde. Und wenn man sich am Speichel von mehr als einer Person infiziert, wird der Prozess rasant beschleunigt.« Ich untersuche Epaps Haut auf Schnitt- und Platzwunden. »Ich glaube, es ist alles in Ordnung, Epap. Du weist keines der Symptome auf, und sie treten immer sofort auf.«
    »Zum Beispiel?«, fragt er nervös.
    »Kalte Haut, starkes Schwitzen, schneller Herzschlag. Dir geht es gut. Du hast Schwein gehabt.«
    Ben stürzt sich auf Epap und umarmt ihn.
    »Halt dich von mir fern«, sagt Epap und richtet sich auf. »Wir wissen noch nicht sicher, ob ich ungefährlich bin.«
    »Mit dir ist alles in Ordnung«, sage ich, und die Jungen werfen sich auf ihn und drücken ihn wieder auf die Planken. In dem Gewirr von Armen sehe ich, wie sich ein Lächeln auf Epaps Gesicht ausbreitet. Ein Arm – Jacobs? – reckt sich aus dem Getümmel, eine Hand packt meine. Ehe ich mich’s versehe, werde ich unter das Zelt ihrer erleichterten Schluchzer gezogen.
    Das Boot gleitet in der starken Strömung rasch vorwärts. Vor uns im Osten ragen die Berge auf und rücken mit jedem Moment näher.

5
    Stunden später bin ich immer noch wach. Ich gehe zum Heck, weg von den Jungen, die in der Kabine laut schnarchen, und Sissy, die am Bug steuert. Ich muss allein sein. Nichts bewegt sich in den mondbeschienenen Ebenen, alles ist still wie auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie. Der Fluss besteht jetzt nur noch aus fließenden Muskeln, Sehnen, die sich in der reißenden Strömung strecken. Gierig und wütend schäumt er voran.
    Ich denke an Ashley June.
    Auch Stunden später hallen Rotlippchens Worte noch in meinem Kopf wider. Als es endlich vorbei war  …
    Zum letzten Mal gesehen habe ich Ashley June auf einem Monitor im Hepra-Institut, sie stand über einen Küchentresen gebeugt und kritzelte hastig eine Nachricht. Ich habe sie noch in der Tasche, durchweicht und an den Rändern ausgefranst. Sie hatte ihr Leben riskiert und war in die Eingeweide des Instituts geflohen, in der minimalen Hoffnung, ich würde zurückkommen und sie retten.
    Ich habe die Nachricht unzählige Male gelesen. Ich kenne die Form jedes Buchstabens, jeden Schnörkel und jeden Punkt. Ich ziehe den Zettel erneut aus der Tasche, ihre Handschrift ist von Feuchtigkeit verwischt.
    Bin@Intro. Warte auf dich
    Sei schnell und bereite
    Vergiss nie
    Ein letztes Mal streiche ich mit dem Finger über ihre Schrift. Ein kalter, schneidender Wind kommt auf, und ich weiß schon, was ich als Nächstes tun werde. Ich schließe die Augen, weil ich nicht hinsehen kann, als ich ein kleines Stück Papier abreiße und im Wind davonflattern lasse wie eine winzige Motte, die in der Nacht verschwindet. Ich reiße ein weiteres Stück ab und noch eins und noch eins. Und während der Mond höher steigt, lasse ich hundert Millionen Schnipsel mit dem Wind verwehen, der Zettel in meiner Hand wird kleiner, bis nur noch ein fingernagelgroßes Stück übrig ist, das ich nicht weiter zerreißen kann. Ich halte es lange fest, bevor ich es mit einem stummen Schrei der Trauer loslasse. Und dann ist es weg, und meine Hand ist

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