Die Jäger des Lichts (German Edition)
nebeneinander, dass wir bisweilen einen Arm streifen oder gegen eine Schulter prallen, aber das stört uns nicht.
Und als der Wald gerade droht, sich zu der Schwärze zähflüssigen Teers zu verdichten, öffnet sich der Vorhang aus Bäumen und Dunkelheit und wir stoßen auf eine Lichtung. Zu einer Seite fällt sie in einer steilen Klippe zu einem tiefen Tal hin ab, in dem ich Gletscherseen und Wiesen ausmachen kann. Doch mein Blick wird rasch von etwas anderem abgelenkt.
Gehüllt in sattes Sonnenlicht steht mitten auf der Lichtung eine Hütte.
11
Die Fenster der Hütte sind mit schwarzen Läden verrammelt, und auch die schwarz gestrichene Tür scheint hermetisch verriegelt zu sein.
Sissy macht einen Schritt auf die Lichtung.
»Sissy!«, flüstert Epap.
Sie dreht sich um und macht uns ein Zeichen zurückzubleiben. Während die Jungen wieder in den Wald huschen, schließe ich zu ihr auf.
»Du gehst das falsch an«, flüstere ich.
Sie bleibt stehen. »Wieso?«
»Du willst doch nicht einfach an die Tür …«
»Oh bitte. Ich hatte nicht vor zu klopfen.«
»Du solltest nicht mal die Veranda betreten. Sie könnte knarren.« Sie antwortet nicht, doch ich weiß, dass sie mich hört. »Ich gehe rechts herum, du links. Wenn wir nach fünf Minuten nichts gehört haben, treffen wir uns auf der Rückseite wieder. Und wenn die Luft dort auch rein ist, probieren wir die Vordertür.«
Sie nickt und wir trennen uns.
Ich bewege mich vorsichtig, denn der Schnee ist hart und krustig. Ich schleiche bis zu dem verrammelten Fenster an der Seite des Hauses und warte lange, bevor ich ein Ohr an die Läden lege. Nichts.
Die Hütte fühlt sich leer an.
Nach fünf Minuten gehe ich langsam zur Rückseite. Dort lauscht Sissy bereits an einem weiteren verrammelten Fenster. Sie hebt die Hände und schüttelt den Kopf. Niemand drin . Sie zieht die Brauen hoch. Sollen wir reingehen?
Obwohl wir uns sehr bemühen, vorsichtig aufzutreten, knarren die Holzplanken der Veranda unter unserem Gewicht. Sissy verzieht das Gesicht, als sie den kalten Türknauf fasst, packt ihn dann fester und dreht daran. Die Tür öffnet sich überraschend leise.
Wir treten ein und schließen eilig die Tür hinter uns. Am besten so wenig Licht wie möglich, um keine schlafenden Hunde zu wecken, falls es welche geben sollte. Wir stehen in einem dunklen schmalen Flur und warten, bis unsere Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben. Dabei lauschen wir auf Geräusche, die wir nicht hören wollen: Huschen, Kratzen, Zischen. Aber es ist vollkommen still.
Nur nach und nach werden Umrisse deutlich. Auf Zehenspitzen schleichen wir in den Raum zu unserer Linken, die Dielen knarzen unter unseren Schritten. Zunächst lassen wir den Blick über die Decke wandern, um beim ersten Anzeichen dafür, dass dort oben jemand schläft, sofort denRückzug antreten und die Flucht ergreifen zu können. Aber bis auf ein paar freiliegende Querbalken sehen wir nichts. Ein schlichter Tisch und eine große Vorratstruhe sind die einzigen Möbel im Raum.
Wir tasten uns zu dem Zimmer auf der anderen Seite des Flures vor. Auch hier baumeln keine schlafenden Leiber von der Decke. In einer Ecke steht ein Holzhocker, dessen runder Sitz uns anstarrt wie ein offenes Auge. Ansonsten ist der Raum unmöbliert, baufällig und riecht nach Schimmel. Über uns spannt sich ein hohes Dachgesims. Die Atmosphäre ist seltsam unheilvoll. Irgendetwas Böses ist in diesem Zimmer geschehen , denke ich schaudernd. Wir schlüpfen wieder hinaus.
Damit bleibt nur noch das Zimmer, das am Ende des Flurs liegt. Sissy ist mir zwei Schritte voraus und reißt den Kopf zurück, als sie den Raum betritt. Ihr Gesicht leuchtet hoffnungsvoll auf.
In dem Raum steht ein Bett, eine dünne Matratze auf einem schmalen Gestell, eine kurze Decke, die zerwühlt neben einem Kissen liegt wie eine abgeworfene Schlangenhaut.
Ich gehe zum Fenster und finde den Griff für die Läden. Sie öffnen sich quietschend nach außen. Tageslicht strömt herein, trotz des inzwischen bewölkten Himmels ist es heller, als ich es in Erinnerung hatte. An der gegenüberliegenden Wand hängt ein merkwürdiges Gerät, es sieht aus wie ein riesiger Flugdrachen oder eine an die Wand geheftete gigantische Motte.
Sissy steht neben dem Bett und inspiziert die Matratze.
»Was denkst du?«, frage ich.
»Ich denke, diese Hütte steht schon eine ganze Weile leer.« Sie schnuppert, um in den Sachen hängende Gerüche zu wittern. »Heute Nacht bleiben wir
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