Die Jäger des Lichts (German Edition)
los.«
»Als wir an dem Fluss angegriffen wurden, hat einer der Jäger ein Mädchen erwähnt.« Sie zögert.
Ich schweige lange.
»Tut mir leid«, sagt sie. »Ich wollte nicht neugierig sein.«
»Nein, das ist es nicht. Ich versuche bloß, die richtigen Worte zu finden.«
»Ich hätte nicht fragen sollen, es ist deine …«
»Sie hieß Ashley June. Wie ich hatte sie in der Metropolis überlebt, indem sie vorgab, eine von ihnen zu sein.« Die Worte fließen aus mir heraus, als wären sie schon zu lange angestaut gewesen. »Wir kannten uns schon seit vielen Jahren, ohne zu ahnen, dass wir beide gleich sind. Bis vor ein paar Tagen in dem Institut. Als unsere wahre Natur offenbart wurde, hat sie ihr Leben geopfert, um meins zu retten.«
»Das tut mir leid, Gene. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Ich wollte sie nicht zurücklassen. Ich habe alles versucht, aber ich hatte keine Wahl, ich konnte nichts machen. Es waren zu viele von ihnen; umzukehren wäre Selbstmord gewesen …«
»Und das ist die Wahrheit«, sagt Sissy leise. »Du hättest nichts machen können. Ich war dort, Gene. Ich habe die Horden von Leuten gesehen, die auf der Jagd nach uns ausdem Institut gekommen sind. Du hast das Einzige getan, was du tun konntest, nämlich fliehen.«
Jacob stöhnt laut in mein Ohr. Ich merke, dass ich ihn zu fest gepackt habe. Ich lockere den Griff um seine Brust.
»Du hättest nichts machen können«, wiederholt Sissy schließlich leise.
»Ich weiß.«
»Es tut mir wirklich leid.«
Wir schweigen lange. Das Seil ächzt, beruhigt sich dann aber wieder.
»Sissy?«
»Ja?«
»Ich werde dir jetzt etwas erzählen. Okay?«
»Was denn?«, fragt sie nach einer Pause.
»Es geht um den Forscher.«
»Schieß los.«
»Ich habe dir etwas verschwiegen.«
»Ich glaube, ich weiß, was«, sagt sie nach einer Weile.
»Nein, das glaube ich nicht. Nicht das.«
»Er ist dein Vater, stimmt’s?«
Meine Kinnlade klappt bis zum Boden des Schachts herunter. »Woher wusstest … was ?!«
»Pst, sonst weckst du die anderen noch«, sagt sie.
»Hat er dir von mir erzählt?«
»Nein. Niemals.«
»Woher wusstest du dann …?«
»Es ist deine Art, dich zu bewegen. Genau wie er. Wie duauf dem Boden sitzt, ein Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt, das Kinn auf das Knie gestützt. Die Farbe und Form deiner Augen. Dein Gesichtsausdruck, wenn du in Gedanken versunken bist. Sogar deine Art zu sprechen.«
»Haben die anderen auch einen Verdacht?«
»Ha. Sie haben es sofort erraten, als sie dich zum ersten Mal gesehen haben.«
»Niemals.«
Sie lacht leise. »Wir haben vielleicht ein behütetes Leben geführt, aber wir sind nicht blind für das Offensichtliche.« Die Leiter schwankt leicht, als sie ihre Position verändert. »Glaubst du … er ist da oben?«
»Du meinst, im Himmel?«
»Nein, über uns, wo immer dieser Schacht auch enden mag.«
»Das will ich schwer hoffen. Ihn zu finden ist mir wichtiger als alles andere.« Ich stutze, selbst überrascht von meinem unerwarteten Bekenntnis. Aber es ist wahr. Seit ich die Tafel gefunden und meinen in Stein gemeißelten Namen gelesen habe, kann ich kaum an etwas anderes denken. Mit einem Blick nach oben sage ich leise: »Ich würde bis ans Ende der Welt laufen, um ihn zu finden, Sissy.«
Sie schweigt, als würde sie warten, dass ich weiterrede.
»Kannst du mir was sagen?«, fragt sie schließlich.
»Was denn?«
Sie zögert. »Erzähl mir, wie es war. Euer Leben zusammen. Hattest du Geschwister? Lebte deine Mutter noch?Wart ihr eine glückliche Familie? Erzähl mir von eurem Leben unter all den Monstern.«
Eine Minute lang schweigen wir beide.
»Meine Mutter und meine Schwester sind gestorben, als ich noch klein war. Sie sind eines Morgens mit meinem Vater aus dem Haus gegangen, und Stunden später kehrte er allein zurück. Sie wurden gefressen. Die Leute haben noch jahrelang über die außergewöhnliche und wundersame Entdeckung eines Hepra-Mädchens mit seiner Mutter bei Anbruch der Dämmerung direkt auf den Straßen der Stadt gesprochen. Sie erzählten sich, wie das Mädchen sich das Bein gebrochen hat, als es von einer Kutsche angefahren wurde, und wie seine Mutter idiotischerweise bei ihm geblieben ist, weil sie es nicht allein lassen wollte. Und wie die Mutter, als die Meute sie erreichte, den Körper des Mädchens mit ihrem geschützt hat. Das Ganze war in Sekunden vorüber. Das Fressen jedenfalls.«
Das Seil ächzt. »Das tut mir leid, Gene. Wir müssen
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