Die Jäger des Lichts (German Edition)
oben und von unten von ätzendem Sonnenlicht umgeben – unüberwindbar für jeden. Außer für uns.
Der einzige lichtgeschützte Bereich auf dem gesamten Stockwerk war ein kleiner schrankartiger Schacht auf der Nordostseite des Gebäudes, der Panikraum genannt wurde. Er war mit durchscheinend grauen Wänden aus einem Spezialglas abgetrennt, das die toxischen Strahlen der Sonne neutralisiert. Der Panikraum war eine Sicherheitsvorkehrung für den extrem unwahrscheinlichen Fall, dass jemand bei Sonnenaufgang unabsichtlich im obersten Stockwerk eingeschlossen wurde. Auf Knopfdruck öffnete sich der Boden des Panikraums zu einem zehn Stockwerke tiefen Schacht, der immer wieder mal als privatester, einsamster und sicherster Ort in der ganzen Metropolis bezeichnetwurde, auch wenn bisher noch niemand gezwungen war, es zu überprüfen. Das galt natürlich nur tagsüber.
Auf dieser Etage gab es nur acht Bürosuiten, durch Glaswände voneinander abgetrennt und möbliert mit Tischen und Stühlen aus Plexiglas. Es war wie in einem Aquarium; man konnte von einer Seite des Stockwerks zur anderen blicken. Nachts waren die Insassen der Büros – und ihre Aktivitäten – für jedermann sichtbar. Eine transparente Regierung, scherzten die Leute. In diesem Stockwerk arbeiteten nur höchste Regierungsbeamte, die nachts, die Stadt im Blick, auf ihre Monitore und das unaufhörlich flimmernde Band der immer aktuellsten Zahlen starrten. Manchmal wandten sie im Gleichklang den Kopf von links nach rechts, sprachen kühl und distanziert miteinander und trafen eine wichtige Entscheidung nach der anderen. Die einzige Unterbrechung der alltäglichen Monotonie war die Mittagspause, in der mein Vater ihnen rohe Fleischstücke in blutigem Saft servierte.
Ich muss noch etwas erledigen , sagte mein Vater jedes Mal, wenn wir tagsüber hier waren. Und ich beobachtete, wie er von einer Bürosuite zur nächsten eilte, die Computer einschaltete, Dateien durchforstete und manchmal hastig etwas in sein Notizbuch schrieb. Wenn ich seinen gebeugten Rücken sah und beobachtete, wie nervös er die Computer einschaltete, wusste ich, dass er etwas Verbotenes tat. So verboten, dass es ihn, sollte er erwischt werden, direkt vor ein Exekutionskommando bringen würde.
Aber an jenem Tag bat mein Vater mich nicht, am Empfang zu warten, während er durch die Büros schlich. Aus der Fahrstuhllobby gingen wir direkt in ein kleines Treppenhaus, in dem es so dunkel war, dass ich nicht auf die plötzliche Weite gefasst war, die sich auftat, als mein Vater die Tür am Ende des Treppenaufgangs öffnete. Ich fühlte mich wie in den Himmel geworfen.
Aufgeregt und ungewöhnlich ungeduldig führte mich mein Vater an den Rand des Daches. Durch die Glasdecke konnte man die Bürosuiten unter uns sehen.
»Daddy?«
»Okay, bleib hier stehen.« Wir waren nur etwa drei Meter vom Rand entfernt, nahe genug, um die Straßen unten zu sehen. »Mach die Augen zu.«
»Daddy?«
»Mach einfach die Augen zu.« Seine Schritte entfernten sich.
Ich schloss die Augen. Er war mein Vater, ich hatte keine Angst. Eine Minute später hörte ich seine Schritte zurückkommen.
»Okay, jetzt darfst du die Augen wieder aufmachen.«
Das tat ich. Mein Vater hielt ein geflügeltes, mit glatten Metallplatten besetztes Gerät in den Armen. Seine Augen glänzten, als er meine Reaktion beobachtete.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Ein Flugzeug. Weißt du noch, wie ich dir erzählt habe, was ein Flugzeug ist?«
Ich starrte verwirrt auf den Apparat.
»Ein Ding, das durch die Luft fliegt! Erinnerst du dich nicht?« Er schien enttäuscht.
»Aber jetzt fliegt es nicht. Ist es tot?«, fragte ich.
»Nein, Dummerchen. Es wird ferngesteuert«, sagte er und zeigte mir die Fernsteuerung in seiner Hand, ein quadratischer Kasten mit einer langen Antenne. »Du musst das Flugzeug hoch über deinen Kopf heben. Nein, halt es an den Flügeln. So ist gut. Und jetzt hochheben. Und nicht loslassen, egal was passiert. Fertig?«
»Fertig.«
Er legte einen Schalter auf der Fernsteuerung um, und das Flugzeug in meinen Händen begann zu vibrieren und erwachte zum Leben wie eine riesige Fledermaus, die sich losreißen wollte.
»Du solltest mal dein Gesicht sehen«, sagte er und kratzte sich mit den beiden freien Fingern am Handgelenk.
»Muss ich es loslassen?«
»Nein, halt es gut fest. Und wenn ich Los sage, stößt du es mit aller Kraft schräg nach oben in den Himmel, okay?«
»Okay.«
Er wartete ruhig, bis das
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