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Die Jäger des Lichts (German Edition)

Die Jäger des Lichts (German Edition)

Titel: Die Jäger des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Fukuda
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ist.

16
    Mein Vater rüttelte an meiner Schulter, um mich zu wecken.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Wir gehen aus«, antwortete er.
    »Ach ja? Warum?«
    »Komm«, drängte er.
    »Muss das sein, Daddy? Ich will nicht raus in die Sonne.«
    »Komm einfach«, sagte er, und ich gehorchte natürlich. Ich band brav meine Schuhe, cremte mir Arme und Gesicht ein und zog den Schirm meiner Mütze bis über die Augenbrauen. Für alle Fälle steckten wir unsere falschen Fangzähne ein. Als wir die Tür öffneten, war das Tageslicht wie Säure in den Augen.
    Wir gingen ohne Sonnenbrille durch die Straßen. Das war einer der kleinen Tricks, die man im Lauf der Jahre lernte. Keine Sonnenbrille bei Tageslicht, weil man in einem leicht gebräunten Gesicht einen Rand erkennen könnte. Aus dem gleichen Grund sollte man auch keine Armbanduhr tragen. All diese Regeln sind einfach Gesetz. Aber aus welchem Grund auch immer brach mein Vater an jenem Tag eine der wichtigsten: Wenn es sich vermeiden lässt, sollte man bei wolkenlosem Himmel und strahlendem Sonnenschein nicht nach draußen gehen. Ich starrte meinen Vater fragend an, doch er sagte nichts.
    Wir hielten uns so weit wie möglich im Schatten der Wolkenkratzer und drückten uns an den Fassaden der aufragenden Gebäude entlang. Die Straßen waren natürlich leer, Stille sickerte in die Bürgersteige und Chromgebäude, in die unabgeschlossenen Eingänge von Cafés, Läden und Lebensmittelgeschäften. Der Brunnen vor dem großen Kongresszentrum lag still und unberührt da, ein perfekter Spiegel für den blauen Himmel.
    Mein Vater ging durch die Drehtür des Domain Building, mit vierundsechzig Stockwerken der höchste Wolkenkratzer der Stadt, der sowohl das Wissenschaftsministerium als auch die Akademie für historische Theorien beherbergt. In diesem Gebäude arbeitete mein Vater schon, solange ich mich erinnern konnte. Ich folgte ihm durch die Tür in das neunundfünfzig Stockwerke hohe Atrium. Sonnenlicht strömte durch die geräumige luftige Glashalle und brach sich in einer Reihe blendender Strahlen in allen Regenbogenfarben.
    »Hier bin ich«, sagte mein Vater, der neben dem gläsernen Fahrstuhl in die Kuppel des Atriums stand. Obwohl sich außer uns niemand in dem Gebäude oder auch nur in der Stadt aufhielt, sprachen wir leise.
    »Was machen wir hier, Daddy?«, fragte ich.
    »Das ist eine Überraschung. Etwas, das ich schon seit ein paar Wochen geplant habe.«
    Die Fahrstuhltür öffnete sich, und mein Vater gab die Zahlenkombination für das oberste Stockwerk ein, die Führungsetage, zu der nur einige sorgfältig überprüfte Auserwählte Zutritt hatten. Als ich meinen Vater überrascht ansah, kratzte er sich das Handgelenk. Der Fahrstuhl beförderte uns im Eiltempo aufwärts, und ich musste wegen des Drucks auf meinen Ohren heftig schlucken.
    Die Etagen mit ihren Vorlesungssälen, wissenschaftlichen Labors, Konferenzsälen und allgegenwärtigen Regierungsbüros flogen an uns vorbei. Auch der seit Jahrzehnten geschlossene, geheimnisvolle vierundvierzigste Stock. Schließlich kam der Lift mit einem Bling! zum Stehen. Die Tür ging auf. Sofort schlug uns wieder die Sonne entgegen, greller und gleißender als zuvor. Mein Vater legte seine Hände auf meine Schultern und schob mich in die schmerzhafte Helligkeit. Zentimeterweise bewegte ich mich vorwärts.
    Das Licht traf mich nicht unerwartet. Ich war im Lauf der Jahre mindestens ein Dutzend Mal hier gewesen, und mein Vater hatte mir stolz seinen Arbeitsplatz gezeigt. Hier mache ich Mittagspause, sagte er (allein auf der Treppe, Daddy?), hier werden Besen, Mopps und Staubsauger aufbewahrt, hier wasche ich die Handtücher, hier lagere ich die Putzmittel, das ist der Müllschlucker. Er kannte jeden Quadratzentimeter; ohne zu zögern trat er aus dem Fahrstuhlin das blendende Licht, fasste sanft meinen Arm und ging nach links.
    Unsere Schuhe quietschten auf dem lichtdurchlässigen Boden. Glitzernde Sonnenstrahlen wurden von Metallpfeilern und den Fenstern um uns herum gebrochen und wieder gebrochen, ein Beweis für den Fleiß und die Professionalität, mit der mein Vater seinen Hausmeisterjob erledigte. Mit wichtiger Miene führte er mich einen Flur hinunter, in dem es blitzte und funkelte, als würde man durch einen Teich aus Diamanten waten. In diesem Stockwerk waren die geheimsten Archive und Dokumente untergebracht, und es war der sicherste Ort der Stadt: der höchste Punkt, so weit das Auge blickte. Bei Tag von allen Seiten, von

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