Die Jäger des Lichts (German Edition)
Dunkelheit …
… Ich öffne meine verklebten Augen einen Spaltbreit. Ein Tag und eine Nacht sind vergangen, seit ich sie zuletzt aufgemacht habe. Und beinahe sofort beginne ich aufs Neue, in der dunklen Kammer zu versinken. Aber vorher sehe ich noch Sissy, die aus dem Fenster starrt, ohne zu merken, dass ich aufgewacht bin. Im hellen Mondschein wirkt ihr Gesicht angespannt, angstvoll. Irgendwas stimmt nicht. Ich sinke zurück ins Nichts …
Ich wache auf. Es fühlt sich an wie eine Wiedergeburt: Zum ersten Mal seit Tagen ist mein Verstand klar, mein Körper zwar immer noch schwach, aber wieder meiner. Ich berühre meine Stirn. Sie ist kühl und trocken. Das Fieber ist überstanden. Ich atme ein und spüre den rasselnden Schleim in meiner Luftröhre.
Die Sonne fällt durch die dünnen Vorhänge vor den Fenstern. Ich liege in einem kleinen holzgetäfelten Raum, der durch einen großen Alkoven vergrößert wird. In einem Ledersessel neben mir sitzt Sissy und schläft. Ihr Mund ist geöffnet, die Decke über ihrem Körper hebt und senkt sich sanft.
Ich versuche, mich aufzurichten, bin jedoch einfach zu entkräftet.
»Sachte, immer schön langsam.« Mit einem Blinzeln ist Sissy an meiner Seite, stützt meinen Kopf und bettet ihn zurück auf das Kissen.
»Wie lange?«, krächze ich. Meine Stimme klingt rau und kratzig und hört sich nicht an wie meine.
»Du warst drei Tage weg. In den ersten beiden Tagen stand es Spitz auf Knopf, du bist sozusagen von innen verglüht. Wir haben ehrlich gesagt nicht geglaubt, dass du durchkommst.« Sie führt eine Schale an meine Lippen. »Letzte Nacht ist das Fieber dann abgeklungen.«
»Ich nehm sie schon.« Aber die Schale wiegt eine Tonne, sodass ich ihren Inhalt beinahe verschütte. Sissy legt ihre Hände unter meine, um sie zu stabilisieren. Ich trinke ein paar Schlucke, bevor ich auf das Kissen zurücksinke. Eine Woge der Wärme breitet sich in meinem Körper aus.
Sissy sieht erschöpft aus, ihr Haar ist zerzaust und verstrubbelt. Sie hat breite dunkle Ringe unter den Augen.
»Ist es Vor- oder Nachmittag?«, frage ich.
Die Frage erwischt sie unvorbereitet. »Weiß nicht. Ich habe jedes Zeitgefühl verloren.« Sie blickt zu dem Fenster auf der anderen Seite des Raumes. »Ja, das ist die Westseite. Also ist es Nachmittag.«
»Wo sind alle? Wo sind die Jungen?«
»Unterwegs.«
»Geht es ihnen gut?«
Sie nickt. »Mehr als das. Sie sind total begeistert.« Sie versucht zu lächeln, doch ihre Lippen bleiben starr. »Sie finden es großartig hier. Sie könnten nicht glücklicher sein.«
»Dann ist das also tatsächlich das Land von Milch und Honig?«
Sie nickt stumm.
»Sissy, was ist los?«
»Es ist nichts. Es ist toll. Obst und Sonnenschein. Das Gelobte Land.« Aber sie sieht mir nicht mehr direkt in die Augen.
»Sag es mir einfach«, dränge ich sanft.
Sie beißt sich auf die Unterlippe und verrückt ihren Stuhl, bevor sie leise sagt: »Irgendwas an diesem Ort ist komisch.«
»Was meinst du?« Ich richte mich auf und werde von einem bellenden Husten geschüttelt. Sie hockt sich auf die Bettkante und klopft mir behutsam auf den Rücken. »Sissy, sag es mir.«
Sie schüttelt den Kopf. »Du musst dich ausruhen.«
Ich greife ihre Hand. »Sag es mir einfach.«
Sie zögert. »Es ist schwer, etwas Konkretes zu benennen. Und es ist auch nichts Großes, sondern nur ein Haufen Kleinigkeiten.«
»Ist es den Jungen auch aufgefallen? Epap?«
Frustration blitzt in ihren Augen auf. »Es gibt zu viel zu essen und zu viele Ablenkungen hier. Ich habe das Thema gestern mit Epap angesprochen, und er hatte nicht den Hauch einer Ahnung. Er meinte, ich sollte mich mal locker machenund nicht so paranoid sein. Mich entspannen und den Aufenthalt hier genießen. Aber irgendwas läuft hier falsch.«
In diesem Moment hört man Schritte vor der Tür, die im nächsten Moment krachend auffliegt. Ein großer Mann stolpert, leicht gebückt, als wäre ihm seine Größe peinlich, ins Zimmer. Sissy erstarrt.
»Was machst du hier?«, blafft er sie an. »Das ist nicht gut. Das ist nicht gut!«
»Was ist denn los?«, frage ich.
Der Blick des Mannes richtet sich auf mich. »Du bist wach«, sagt er schwankend.
»Ja, bin ich.«
Er blinzelt lange und fest. »Ich bin der Ältere Northrumpton. Ich habe dich gepflegt.« Er spricht lallend, und seine Augen sind blutunterlaufen. Selbst vom Bett aus kann ich seine Alkoholfahne riechen. Er torkelt zum Fenster und fummelt an dem Riegel herum. Dann lehnt
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