Die Jäger des Lichts (German Edition)
zieht mich sanft am Arm Richtung Wald. »Wir müssen reden. Aber nicht hier«, sagt sie mit einem Blick auf die Hütte.
In vertrautem Schweigen gehen wir über das silbrige Gras Richtung Wald. Sie schiebt ihre Hand in meine, unsere Finger verschränken sich. Ihre Haut ist kühl, glatt und weich. Die Berührung fremder Haut durchfährt mich immer noch wie ein Stromstoß. Nach kurzem Zögern drücke ich ihre Hand. Sie lächelt mich von der Seite an, und ihr Pferdeschwanz schwingt hin und her.
Im Wald umschließt uns Stille und Dunkelheit wie eine Kuppel. Man kann sich nirgendwo setzen, also lehnen wir uns an einen Baum. Wir sehen uns an und drücken unsere Körper dicht aneinander, um uns zu wärmen. Und noch etwas anderes. Unsere Gesichter sind so nah beieinander, dass unser Atem verschmilzt.
An ihren Wimpern klebt ein Tropfen. Ich will die Hand ausstrecken und ihn berühren.
»Alles in Ordnung?«
Sie beißt sich auf die Lippe und nickt.
»Ich kann nicht glauben, dass sie dich von den Jungen getrennt und hier in der Wildnis untergebracht haben.«
»Es steht in ihren Statuten.«
»Die kostbaren Statuen! Wollten die Jungen nicht, dass du bei ihnen bleibst?«
»Natürlich. Und sie waren auch beharrlich.«
»Aber wieso …?«
»Die Älteren waren noch beharrlicher. Und ich wollte keinen Aufstand machen und es mir mit ihnen verscherzen. Vergiss nicht, das alles war nur wenige Stunden nach unserer Ankunft, und ich wusste nicht, mit wem ich es zu tun hatte. Ich dachte, es wäre besser, erst mal mitzuspielen. Also habe ich Epap und den Jungen erklärt, es ginge mir gut.«
»Ich kann nicht glauben, dass Epap nicht …«
»Nein. Es war meine Entscheidung. Ich habe darauf bestanden.«
»Trotzdem hätte er sich nachdrücklicher für dich einsetzen können.«
Sie schüttelt kaum merklich den Kopf. »Sei nicht so streng mit ihm. Mit allen Jungen. Nachdem sie ihr ganzes Leben in der Kuppel verbracht haben, war es zu erwarten, dass sie ein bisschen den Kopf verlieren.« Sie lächelt. »Sie werden mit Essen, Trinken und Vergnügungen überhäuft. Und Epap sieht sich von mehr weiblicher Aufmerksamkeit umgeben, als er bewältigen kann. Sie sind alle betört von diesem Ort.«
»Das überzeugt mich nicht, Sissy. Nach allem, was du für sie getan hast, nachdem du sie im Alleingang ohne einen Kratzer hierhergeführt hast, sollte man meinen, sie würden sich dir gegenüber ein bisschen loyaler zeigen.«
Sie drückt meine Hand. »Wohl kaum im Alleingang«, sagt sie.
»Na ja«, sage ich und senke den Blick, als ich spüre, wie ich rot werde. »Ich habe bloß mit angepackt, den Hauptteil der Arbeit hast du erledigt.«
Sie runzelt die Stirn. »Ich meinte deinen Vater. Er hat alles gemacht: die Karte, das Boot, die Steintafel.«
»Ach ja, mein Vater«, sage ich. »Natürlich.«
Sie kichert, ein seltsames Geräusch, als ob jemand etwas verschüttet hätte. Sie streicht mir übers Haar. »Hast du gedacht, ich rede von dir?« Ein Lächeln spielt um ihre Lippen.
»Nein, ich wusste natürlich, dass du meinen Vater meinst.«
Und dann schlägt die Stimmung um. Vielleicht ist es eine Traurigkeit, die in meinen Blick kriecht, oder das plötzliche Erschlaffen meiner Schultern, doch ihr Lächeln verblasst. Sie streicht mir noch einmal übers Haar, sanfter diesmal, langsamer.
»Das mit deinem Vater tut mir leid«, sagt sie.
»Es ist für uns beide schwer.«
»Aber doppelt schwer für dich. Er war dein Vater.« Ihr weißer Atem steigt zwischen uns auf. »Sie haben gesagt, man hätte ihn in der Holzhütte gefunden. Kein Abschiedsbrief.« Sie schüttelt langsam den Kopf. »Ich habe es zuerst nicht geglaubt. Ich konnte es nicht glauben. Das passt so überhaupt nicht zu ihm.«
»Was würde meinen Vater dazu treiben, so etwas zu tun?« Ich blicke auf die Lichter des Dorfes in der Ferne. »Was ist mit diesem Ort?«
Sie fasst meine Hand fester. »Gene, hier ist so vieles merkwürdig.«
Ich nicke langsam. »Ist mir auch aufgefallen. Ich meine, das mit den winzigen Füßen und den vielen schwangeren Mädchen. Die Älteren stolzieren herum wie die Pfauen. Und all die Statuten und Regeln. Und wo sind die halbwüchsigen Jungen, die erwachsenen Frauen?«
»Du hast ja keinen Schimmer«, sagt sie aufgeregt. »Du warst die meiste Zeit bewusstlos, in seliger Ahnungslosigkeit. Manchmal wollte ich dich ohrfeigen, bis du aufwachst, nur damit ich mit jemandem reden konnte.«
»Was ist mit Epap und den anderen Jungen? Haben sie auch was
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