Die Jäger des Lichts (German Edition)
Gute Versorger ist treu und verlässlich«, sagt Krugman. »Seine Vorräte sind jeden Morgen neu, jeden Morgen neu.«
»Ich glaube nicht …«
»Ah, wir haben unsere nächste Station erreicht! Den Gesangssektor!«, brüllt Krugman und wendet sich von mir ab. Zwei Ältere starren mich an. Ihre Augen brennen mit ätzender Freundlichkeit.
»Diese Hütten hier«, verkündet Krugman, »sind meinAugapfel. Hier bilden wir auch unseren Chor aus. Nur die musikalisch Begabtesten dürfen hier studieren. Hör nur, hörst du sie nicht? Er stößt die Tür auf, und die Musik bricht abrupt ab.«
»Älterer Krugman, wir sind so froh, dass Sie uns mit einem Besuch beehren«, sagt das Mädchen am Klavier. Ihrem Bauch nach zu urteilen ist sie mindestens im siebten Monat schwanger.
Krugman lächelt. »Ich habe unserem Gast erklärt, was für eine besondere Gruppe ihr seid. Ich verlasse mich darauf, dass ihr ihn in den kommenden Tagen nicht enttäuschen werdet.«
»Bestimmt nicht.«
Weitere Freundlichkeiten werden ausgetauscht, ein sonniges, süßes Lächeln klebt in allen Gesichtern.
Und so geht es in jeder Hütte, die wir besichtigen: der Schreinerhütte, dem Holzschuppen, den Stoff- und Designhütten, in denen die Mädchen Stricken, Häkeln, Sticken, Makramee und Kreuzstich lernen. Wir werden mit gesenktem Kopf und gestelzten Floskeln begrüßt. Auch die Mädchen, denen wir auf der Hauptstraße begegnen, reagieren mit der gleichen versteinerten Freundlichkeit und lächeln mit weißen Zähnen den Boden an. Nur die Babys in der Entbindungsstation, wo Reihen belegter Kinderbettchen stehen, halten sich nicht an die vorgestanzten Höflichkeiten und schreien und kreischen voller Missvergnügen.
Mit Anbruch der Dämmerung endet die Tour. Der Glanz der untergehenden Sonne legt sich wie ein violetter Staubfilm auf die Berge, der von der Dunkelheit weggewischt wird. Fast alle Älteren verlassen unter dem Vorwand von Verpflichtungen die Besichtigungsgruppe und machen sich auf den Weg in die Taverne. Zurück bleiben nur zwei wortkarge, mürrische, untergeordnete Ältere. Die Laternen gehen an.
»Wir bringen dich in deine neue Wohnhütte«, sagen sie.
»Dorthin, wo meine Freunde sind?«
Sie schütteln den Kopf. »In ihrer Hütte ist kein Platz mehr für dich. Wir haben Anweisung, dich zu einer anderen Hütte zu bringen. Sie wird dir gefallen. Sie ist brandneu, gerade erst fertiggestellt, sonst wohnt niemand dort. Du hast jede Menge Privatsphäre.«
»Ich würde aber lieber mit meinen Freunden zusammenwohnen. Ich sehe nicht ein, warum ich ganz allein sein soll.«
»Komm jetzt. Du bist nicht der Einzige, der allein ist. Dieses Mädchen, wie heißt sie noch, das kleine Würstchen – Sissy –, sie ist draußen auf dem Farmgelände.«
Ich bleibe stehen. »Sie ist nicht bei den Jungen?«
»Sie hat große Füße. Mädchen mit großen Füßen dürfen nicht in der Nähe des Dorfes schlafen. Die Großfüßler müssen außerhalb städtischen Bodens auf der Farm übernachten. So ist es in den Statuten festgelegt.«
»Wenn man vom Teufel spricht«, sagt einer der Älteren. »Da ist sie.«
Sissy ist mit einer Gruppe von zehn Mädchen unterwegs. Ein Älterer geht direkt hinter ihr und betrachtet mit beunruhigender Konzentration ihren Hintern. Seine dicken Arme hängen aus seiner ärmellosen Weste wie haarige Speckschwarten.
»Hey, Sissy«, sage ich.
»Hey«, erwidert sie hastig, »Gene.« In ihrer Stimme liegt etwas Klägliches. Der Ältere schiebt sie vorwärts. Die Gruppe folgt einem gepflasterten Pfad. Ich sehe ihnen nach, bis sie im Dunkel verschwimmen und im Licht der nächsten Laterne geschrumpft wieder auftauchen. Unter der letzten Laterne dreht Sissy sich noch einmal zu mir um. Ihr Gesicht ist klein und blass. Sie bewegt die Lippen. Komm zu mir , sagt sie stumm. Und dann tritt sie aus dem Licht in eine Dunkelheit, die sie gänzlich verschluckt.
18
Im Schlaf erscheint mir Ashley June. Es ist ein seltsamer Traum, der die verschwommene Linie zum ausgewachsenen Albtraum streift. Ich bin wieder im Hepra-Institut, in der entlegenen Bibliothek, in der ich untergebracht war. Der muffige Staubgeruch gammelnder Bücher und vergilbter Seiten liegt in der Luft. Ashley June tritt in einem Brautkleid mit Reifrock aus dem Dunkel und schwebt mit leuchtend weißem, unendlich traurigem Gesicht von der Decke. Ihre Augen sind übernatürlich groß, mit schwarzem Lidstrich umrahmt, glänzend von schimmernden Tränen. Aber sie weint nicht, als sie
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