Die Jäger des Lichts (German Edition)
sie zu und spreche leiser weiter. »Dieser Ort ist mir unheimlich. Du kannst es mir sagen, Clair. Was ist mit dem Forscher passiert?«
In ihren Augen flackert es kurz.
»Er ist nicht durch Selbstmord gestorben, oder?«, frage ich drängend.
Irgendetwas in ihr gibt nach. Sie entspannt sich, macht den Mund auf …
Hinter uns erhebt sich Gesang, der die Sonne und Gnade eines strahlenden neuen Tages preist. Eine Reihe von Mädchen aus dem Dorf, in den Armen Körbe voller Wäsche, kommt um eine Ecke. Als sie mich auf dem Holzplateau stehen sehen, bleiben sie überrascht stehen.
Ich drehe mich wieder um. Clair ist weg. Ich lasse den Blick zum Waldrand schweifen, um eine Bewegung auszumachen. »Clair?«
Aber sie ist verschwunden.
Frustriert gehe ich an der Gruppe der Wäscherinnen vorbei. Sie verbeugen sich, den Kopf gesenkt, die Lippen gebleckt zu etwas, das ein Lächeln darstellen soll. So falsch, dass selbst mein aufgesetztes Lächeln dagegen aufrichtig wirkt. »Guten Morgen!«, flöten sie. »Guten Morgen, guten Morgen!«
Einige haben schon die Ärmel hochgekrempelt und machen sich bereit, die Kleider in den Fluss zu tunken. Ich sehe nackte Haut und am Unterarm eines Mädchens eine hässliche Narbe in Form eines X, dicke, blassrosafarbene Streifen wie sich kreuzende Blutegel. Ich will schon darüber hinwegsehen, als mir bei einem anderen Mädchen die gleiche Narbe auffällt, nur dass sie zwei davon auf dem Arm hat.
Ich bleibe stehen und starre auf die Entstellung. Begreife, worum es sich handelt. Erkenne, was den Mädchen angetan wurde.
Sie wurden gebrandmarkt.
Das Mädchen sieht, dass ich auf ihre Narbe starre, und rollt hastig den Ärmel hinunter, um sie zu bedecken. Aber nur den linken, den rechten lässt sie bis über den Ellbogen aufgekrempelt. Auch die Haut an ihrem rechten Unterarm ist gezeichnet. Nicht von Brandnarben, sondern von einer seltsamen Tätowierung:
»Wie heißt du?«, frage ich sie.
Beim Klang meiner Stimme zuckt sie zusammen. Einen Moment lang erstarrt sie, erstarren sie alle. »Guten Morgen, mein Herr«, sagt sie mit vor Furcht zittriger Stimme und lächelt dabei mit gesenktem Kopf.
»Wie heißt du?«, frage ich sie, so sanft ich kann.
»Wir sollen nicht mit Ihnen sprechen«, sagt sie und weicht zurück.
»Warum nicht?«, frage ich bemüht ruhig. »Nur deinen Namen. Mehr will ich gar nicht. Wie heißt du?«
»Debby«, murmelt sie schließlich.
»Debby«, wiederhole ich, und der Klang ihres Namens auf meinen Lippen lässt sie zusammenzucken. »Was ist das?«, frage ich und zeige auf ihren Arm.
Sie blickt auf und sieht, dass ich auf ihre Tätowierung zeige. »Das ist mein Verdienstzeichen«, sagt sie und schlägt die Augen wieder nieder.
»Was ist denn ein Verdienstzeichen?«, frage ich.
Doch sie antwortet nicht. Strähnen ihres losen Haars flattern im Wind.
»Was ist los?«, frage ich. »Warum sagst du ni…«
»Lass sie in Ruhe.«
Alle Mädchen halten hörbar die Luft an und ducken ihre Köpfe noch ein Stück tiefer. Bis auf das Mädchen, das gesprochen hat. Sie sieht mich direkt an. In ihren Augen liegt Angst, aber auch etwas Hartes wie Stein, der nicht nachgibt. Jedoch nur für eine Sekunde. Dann senkt auch sie den Kopf und starrt angestrengt auf den Boden.
Ich betrachte das Mädchen eingehender. Sie ist die Größte der Gruppe, aber auch die Dünnste. Sommersprossen sprenkeln ihre Wangen und ihre Nase. Doch das ist nicht das Auffälligste an ihr. Es ist ihr linker Unterarm. Auf ihrer Haut prangen vier X, brutale, hässliche Brandzeichen wie von einem Metallwerkzeug, das auf ihre Haut gepresst wurde.
Dann hebt sie erneut den Blick, bis er meinen trifft. Ohne Schüchternheit oder Scham.
Stattdessen ist da ein behutsamer, vorsichtiger Funken … Hoffnung.
»Was ist das?«, frage ich und zeige auf die Zeichen auf ihrem Arm.
»Sie heißen Schuldmale.«
Ich blicke auf ihren rechten Unterarm. Er ist frei von Smiley-Tattoos.
»Warum hast du diese … Schuldmale? Was bedeuten sie?«
Doch sie sagt nur: »Bitte.« Ihre Stimme ist leise, aber kräftig.
»Was?«, frage ich.
»Wenn ich deine Fragen beantworte«, erwidert sie, »verstoße ich gegen die Statuten. Und wenn ich gegen die Statuten verstoße, tun wir es alle. So steht es in den Regeln. Schuldig im Kollektiv . Wir werden alle bestraft, nicht nur ich.« Sie sieht mich erneut direkt an, drängend, beinahe flehend. »Einige von uns haben mit einem weiteren Tadel eine Menge zu verlieren.« Sie senkt die Stimme.
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