Die Jäger des Lichts (German Edition)
und ich sehen uns an. Ich setze an, etwas zu sagen, lasse es dann aber doch, weil ich nicht weiß, wie ich anfangen soll.
Krugman bemerkt meine Verlegenheit und lächelt freundlich, wobei sein Kinn sich zu einem Doppelkinn faltet. Dasschwarze Muttermal kommt zum Vorschein, die Härchen fächern sich auf wie die Schnurrbarthaare einer Ratte. Immer noch lächelnd nimmt er auf einem Ledersessel mit hoher Lehne Platz. »Da wären wir«, sagt er. »Sagt mir ganz offen, was euch Sorgen bereitet.«
Ich räuspere mich. »Zunächst möchten wir uns bei Ihnen für alles bedanken. Ihre Gastfreundschaft war wirklich fantastisch, wir wurden herzlicher willkommen geheißen, als wir es uns je hätten träumen lassen. Das Essen, der Gesang, die …«
»Wohin führen die Eisenbahngleise?«, fragt Sissy.
Entzückt wendet sich Krugman ihr zu und schließt träge die Lider, bevor er die Augen wieder öffnet. Sein Blick saugt sich an Sissy fest, beinahe so, als habe er nur auf diesen Moment gewartet, um sie endlich ungehemmt anstarren zu können.
Sissy ist unbeeindruckt. »Und das ist nur der Anfang. Sagen Sie uns, warum Sie von unserer Ankunft kaum überrascht waren. Wenn ich hier leben würde und aus dem Nichts tauchten auf einmal sechs Reisende auf, wäre ich außer mir. Stattdessen schien es, als hätten Sie uns beinahe erwartet. Erklären Sie uns, warum.«
»Das kann ich. Vielleicht dauert …«
»Und erzählen Sie uns mehr über dieses Dorf. Woher kommen die ganzen Nahrungsmittel und die anderen Sachen? Diese Möbel. Das Glas. Das verdammte Klavier. Hier oben in den Bergen sollten Sie eigentlich Mühe haben, überdie Runden zu kommen. Stattdessen leben Sie in Saus und Braus. Epap und den anderen haben Sie damit vielleicht imponiert, aber ich finde das alles eher verdächtig als beeindruckend.«
»Und erzählen Sie uns von dem Forscher, dem Älteren Joseph«, sage ich. »Wie ist er gestorben? Wer war er? Wann …?«
Krugman lächelt, als ob …
»Ist an der Frage irgendwas komisch?«, faucht Sissy und starrt ihn wütend an.
Krugman lehnt sich zurück und stößt ein lautes Lachen aus, das seinen ganzen Bauch schwabbeln lässt. Das zyklopische Muttermal an seinem Kinn blickt uns wieder an. »Nichtso, nimmer« , sagt er mit feuchten Augen. »Ganz und gar nicht. Ihr beiden seid nur so ein reizendes Pärchen, wie ihr euch da gegenseitig gedanklich auf die Sprünge helft. Wirklich niedlich.« Er nickt dem Serviermädchen zu, das unverzüglich an den beiden Gefolgsleuten vorbei aus dem Zimmer geht.
»Tatsache ist«, sagt Krugman, als die Bürotür zufällt, »dass ich dieses Gespräch mit euch ohnehin führen wollte. Jedenfalls mit Gene. Als ältestes männliches Mitglied der Gruppe ist er von Rechts wegen ihr Anführer, oder nicht?« Krugman steht auf und wendet uns den Rücken zu.
»Es ist einfacher«, sagt er, »wenn ich ganz am Anfang beginne. Ich weiß nicht, wie viel ihr wisst, also gehen wir davon aus, dass ihr gar nichts wisst.« Er starrt lange in dieFerne. »Es ist möglicherweise schwer zu … akzeptieren. Wenn ihr also irgendwann wollt, dass ich …«
»Wir sind bereit«, sagt Sissy. »Reden Sie schon.«
Er wendet sich uns nur halb zu und schaut dabei weiter nach draußen; so spricht er die meiste Zeit, ohne uns anzusehen, den Blick in die Ferne gerichtet. »Wir nennen sie Schatter – diese Wesen, die euch fressen und euer Blut trinken wollen.« Kurz dreht er sich ganz zu uns. »Aber wie ich sehe, hat man euch das schon erzählt. Wie nennt ihr sie? Ich bin ehrlich gesagt ziemlich neugierig.«
»Gar nicht«, sage ich. »Ich meine, es sind einfach … Leute. Wir sind die Abnormalen, die Freaks. Die Hepra.« Das letzte Wort spucke ich verächtlich aus.
»Ich werde euch nun etwas erzählen, das euch, nun ja, sagen wir in Ermangelung eines besseren Wortes, verblüffen wird. Es tut mir leid, dass das nun alles auf einmal auf euch einprasselt, aber ich fürchte, anders geht es nicht.« Damit wendet er sich wieder zum Fenster und starrt auf die Berge.
»Vor Jahrhunderten wurde die Welt aus Gründen, die zu komplex sind, um näher darauf einzugehen, durch den Konflikt zwischen kriegführenden Nationen zerrissen. Die großen Supermächte – sie hießen Amerika, China und Indien – bauten unfassbare Arsenale von nuklearen, biochemischen und Cyberwaffen auf. Kleinere Nationen, die Angst hatten, außen vor zu bleiben, mussten sich für eine Seite entscheiden und deren Linie folgen. In einer Welt,
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