Die Jäger des Lichts (German Edition)
das Dorf besser kennen als ich. Aber du warst offenbar zu beschäftigt damit, dich bei den Älteren einzuschmeicheln und den ›Schaum‹ zu ignorieren. Du weißt rein gar nichts über dieses Dorf.«
Er läuft den kurzen Flur hinunter und macht wieder kehrt. »Das ist unfair.«
»Ich sag dir, was unfair ist: Sissy ganz allein auf der Farm zu lassen. Und das habt ihr getan, du und die Jungen. Ihrhabt sie im Stich gelassen. Sie hat euch durch das Weite und über die Berge sicher zu diesem Dorf geführt, hat euch vor einem Schatter-Angriff nach dem anderen geschützt. Und wie habt ihr es ihr gedankt? Sobald ihr einen Fuß in dieses Dorf gesetzt hattet, habt ihr sie fallen lassen wie einen Sack Kartoffeln. Auf und davon, überall und nirgends, herumscharwenzeln mit …«
»Das reicht!«
»… allen Mädchen aus dem Dorf, ohne einen Gedanken an Sissy zu verschwenden.«
»Sissy kann für sich selbst sorgen, sie braucht niemanden, der ihr das Händchen hält …«
»Darum geht es nicht! Es geht darum, zusammenzuhalten, es geht um …«
»Ich sagte, es reicht! Ich brauche von dir keinen Vortrag über Loyalität!« Sein Gesicht ist wutverzerrt, doch der Zorn richtet sich nicht gegen mich. Selbsthass und Schuldgefühle drücken auf seine Schultern.
»Du hast sie im Stich gelassen«, fahre ich sanfter fort. »Das hättest du nicht tun dürfen. Bei den Jüngeren kann ich noch verstehen, wenn sie von allem hier so in den Bann geschlagen sind, dass sie den Kopf verlieren. Aber nicht du. Du hättest gefasster bleiben müssen. Und du hättest Sissy nicht einfach sich selbst überlassen dürfen. Was hast du dir dabei gedacht, mit all diesen Mädchen rumzumachen? Du wolltest Sissy eifersüchtig machen, stimmt’s?« Zum Ende meines Vortrags bin ich wieder laut geworden.
Er presst die Lippen aufeinander, läuft mit kurzen, angespannten Schritten wieder den Flur hinunter und starrt auf seine Schuhe. Als er kehrtmacht, sind seine Schritte langsamer und zögerlicher. Er lehnt sich an die Wand und tritt mit dem Absatz hart dagegen.
»Ich habe es nicht gemacht, um sie eifersüchtig zu machen«, sagt er leise. »Dass ich meine Zeit mit den Mädchen aus dem Dorf verbracht habe, war kein blödes Spielchen. Etwas so … Pubertäres würde ich nie tun.«
»Warum hast du es dann gemacht?«
Sein Blick wird glasig und nach innen gekehrt. »Um mir selbst zu beweisen, dass ich auch ohne sie prima klarkomme. Dass ich sie nicht brauche. Dass ich sie in Gesellschaft der anderen Mädchen vergesse.« Er schnieft. »Und am Anfang dachte ich auch, ich könnte es. All diese weibliche Aufmerksamkeit war wirklich berauschend. Aber ich habe mich geirrt.« Er starrt auf seine Hände und atmet wütend durch die Nase aus. »Und du hast Recht, ich hätte sie nie im Stich lassen dürfen. Was das betrifft, hab ich komplett versagt.«
Er hebt seinen Blick und sieht mich direkt an. Er wirkt ausgeglichen und entschlossen. »Ich bin eigentlich nicht so. Und ich werde es wiedergutmachen. Bestimmt.«
Ich nicke knapp, dann wenden wir beide den Blick ab. Es hat ein bisschen gedauert, doch nun haben Epap und ich zum ersten Mal ernsthaft miteinander geredet.
»Du sagst, irgendwas an diesem Ort ist unheimlich«,wechselt er das Thema, und sein Blick wird hart vor Selbstvorwürfen. »Was habe ich übersehen?«
»Es gibt Dinge, die ich gerade erst erfahren habe. Und die du unbedingt wissen musst.« Ich weise mit dem Kinn auf das Zimmer. »Aber lass uns reingehen. Ich will, dass die Jungen es auch hören.«
Vor dem Fenster bewegt sich etwas; eine Linie grauer Gestalten stapft durch den Regen zu unserer Hütte.
»Warte«, sage ich. »Wir kriegen Besuch.«
Es ist ein Trio von Dorfmädchen mit Salben und Verbänden. Sie knien vor der nach wie vor bewusstlosen Sissy und arbeiten mit routiniertem Geschick. Sie tragen eine streng riechende Salbe auf die verbrannte Haut auf, die sie nach einigen Minuten wieder abwischen, um eine weniger dicke Schicht von einer anderen, gelblichen Salbe darüberzustreichen. Zuletzt legen sie einen Verband an.
»Ihr müsst jede Stunde eine neue Schicht auftragen«, sagt die Anführerin der drei. Sie hat harte Augen über sanften Pausbacken und trägt das Haar zu Zöpfen geflochten. Sie richtet sich auf, um zu gehen. Die anderen tun es ihr nach. Dielen knarren. Eins der anderen Mädchen ergreift mit schriller, unsicherer Stimme das Wort. »Die Älteren möchten ihr Missfallen ausdrücken. Die Entfernung des Mädchens aus der Klinik
Weitere Kostenlose Bücher