Die Jäger des Lichts (German Edition)
helfen«, sage ich. »Dann hilf uns auch. Wo ist sie?«
Sie zögert und flüstert dann: »Es ist schon zu spät. Aber geht zur Klinik. Du weißt, wo die ist, oder?«
»Die Klinik?«, fragt Epap. »Ich weiß, wo sie ist, aber warum um alles auf der Welt müssen wir dorthin gehen?«
Sie zieht ihren Arm weg. »Ihr kommt zu spät.« Sie watschelt davon und verschwindet in der Hütte, aus der sie gekommen ist.
Epap runzelt verwirrt und zunehmend panisch die Stirn. »Die Klinik? Gene, was ist hier los?«
Ich antworte nicht, obwohl mich ein schrecklicher Verdacht beschleicht. Ich renne los, schneller als jemals zuvor in dieser Nacht.
Als wir die Klinik erreichen, sind wir völlig außer Atem, verschwenden jedoch keine Zeit. Mit der Schulter voran schiebt sich Epap durch die Eingangstür, sieht etwas und erstarrt wie eine Marionette, deren Fäden ruckartig nach oben gerissen werden.
In einem ansonsten leeren Raum liegt Sissy auf einem Gerät, das an einen Zahnarztstuhl mit Riemen und Fesseln erinnert. Ihre Arme und Beine sind würdelos gespreizt, die Augen geschlossen, der Mund schlaff.
Ein schwacher Geruch von verbranntem Fleisch liegt in der Luft.
»Sissy!«, ruft Epap und stürzt an ihre Seite. Ihr linker Ärmel ist hochgeschoben, sodass die weiche Innenseite ihres Unterarms entblößt ist. Wie ein fremdes Wesen prangt darauf in der Mitte eine eitrige x-förmige Wunde. Sie wurde gebrandmarkt.
Wir sagen nichts, sondern lösen eilig ihre Fesseln. Ihr Atem geht schnell und flach, und sie murmelt sinnloses Zeug vor sich hin. Epap krempelt den Ärmel behutsam weiter nach oben, damit die raue Wolle nicht über die frische Brandwunde scheuert. Ich will sie hochheben, doch er stößt mich beiseite, hebt sie mit einer Kraft und Eleganz hoch, die man seinen dünnen Armen nicht zugetraut hätte, und drückt sie zärtlich und fest an seine Brust. Für einen Moment schließt er erleichtert die Augen und streift mit den Lippen über ihr Haar.
»Ich hab dich, jetzt bist du sicher, Sissy«, flüstert er. Als er sie hochwuchtet, um ihre Beine fester zu fassen, prallt ihr Kopf heftig gegen seine Nase, doch er macht keinen Mucks, sondern drückt sie nur noch zärtlicher an sich, bis sein Schmerz nachlässt.
Ich spüre ein unerwartetes Stechen der Eifersucht.
Epap läuft hinaus in den Regen, der jetzt mit der Wucht eines Wasserfalls vom Himmel stürzt, sodass wir im Handumdrehen pitschnass sind. Trotz des zusätzlichen Gewichts rennt Epap so schnell, das ich nur mühsam Schritt halten kann.
»Epap!« Ich packe seinen Arm, um ihn zu bremsen. »Wohin willst du?«
»Zurück zu meiner Hütte.« Er versucht, sich von mir loszureißen.
»Nein.« Unsere Blicke treffen sich. »Deine Hütte ist auf der anderen Seite des Dorfes. Zehn Minuten entfernt. Solange sollte Sissy nicht im Regen sein, nicht in ihrem Zustand. Bring sie in meine, die ist viel näher.«
Seine Arme fangen zu zittern. Das Adrenalin ist aufgebraucht, und er ist völlig erschöpft. Er nickt hastig. »Zeig mir den Weg.«
Aber ich zögere noch, weil mir ein neuer Gedanke kommt. »Wir müssen die Jungen holen«, sage ich.
Epap begreift sofort. Allein sind sie nicht sicher. Ein Angriff auf einen von ihnen ist ein Angriff auf uns alle.
»Gib mir Sissy«, sage ich, »und hol die Jungen. Du weißt, wo sie sind. Ich nicht.«
Er wirft mir einen nervösen Blick zu. »Nein«, sagt er, »ich trage sie …«
»Durch das ganze Dorf?«, frage ich und lege die Hand auf seine Schulter. »Ich bringe sie sicher in meine Hütte, das verspreche ich dir.« Er starrt mich unentschlossen an. »Sissy wird die Jungen um sich haben wollen, wenn sie aufwacht. Geh sie holen.«
Das überzeugt ihn schließlich, und er legt Sissy in meine ausgestreckten Arme. Mir war nicht klar, wie sehr ich mich danach gesehnt habe, ihren zur Seite gekippten Kopf an meiner Brust zu spüren, ihre weiche Haut an meiner. Ich muss mich mit aller Kraft zusammenreißen, sie nicht fester an mich zu drücken, mein Gesicht in ihrem Haar zu vergraben und ihren Duft einzusaugen.
Epap starrt mich argwöhnisch an. Ich erkläre ihm, wo meine Hütte liegt, und wir laufen in entgegengesetzte Richtungen los. Mit einem Mal bin ich voller Energie, als hätte Sissy mir neue Lebenskraft eingeflößt; meine Füße drängen immer schneller voran, fallende Regentropfen auf meinem Weg zerplatzen in eine Million Teilchen aus Dunst.
26
In meiner Hütte bette ich Sissy auf das Sofa. Sie rollt sich mit zitternden Armen zusammen und
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