Die Jäger des Lichts (German Edition)
»So einfach ist es nicht.« Ich runzle die Stirn und sehe mein Spiegelbild in der dunklen Scheibe. »Oder doch?«
»Hat er dir gegenüber je irgendwas davon erwähnt?«
»Wovon?«, frage ich.
»Hat er dir je gesagt, warum er dich Gene genannt hat?«, fragt Epap. Wenn er mich verspotten oder herumblödeln will, verrät seine Stimme und sein stählerner Blick es jedenfalls nicht.
»Moment mal«, sage ich. »Ihr denkt, ich sei der Ursprung, weil … er in meinen Genen ist? Ihr denkt, die Heilung für die Schatter liegt in meinem genetischen Code?«
Ihre aufgerissenen Münder sind Antwort genug.
»Also wirklich!«, schnaube ich. »Seid nicht albern! Es ist ein Name, hört ihr, bloß ein Name! Ein Klang. Er hat keine besondere Bedeutung.« Ich sehe Epap an. »Willst du mir erzählen, dass Epap irgendwas bedeutet? Oder Ben? Oder Jacob?«
»Tatsächlich«, sagt Epap, und in seinem Gesicht dämmert eine Erkenntnis, »bedeuten alle unsere Namen wirklich etwas. Der Forscher hat gesagt, er hätte jeden von uns nach einer Eigenschaft getauft, die ihn einzigartig macht. Ben hat seinen Namen von Big Ben, einer mythischen Turmuhr, weil er als Baby so pummelige Arme und Beine hatte. Jacob ist nach einer biblischen Figur benannt, weil er leicht hinkt. Sissy hat er ›Sis‹ genannt, damit Ben sich daran erinnert, dass sie Geschwister sind, zumindest Halbgeschwister. Und mir hat er den Namen Epaphroditus gegeben …«
»Okay, okay, ich verstehe«, sage ich. »Er hat euch hübsche Namen gegeben. Das freut mich für euch. Aber ich kann euch sagen: Mir hat er meinen Namen nie erklärt. Es war bloß ein Name. Ohne jede besondere Bedeutung.«
Aber es ist, als hätten sie mich gar nicht gehört. Sie lächeln, die Augen ehrfürchtig aufgerissen. »Die ganze Zeit«, sagt Jacob mit leuchtenden Augen, »war es direkt vor uns. Der Ursprung. Das Heilmittel für die Schatter, die Rettung für die Menschheit. Der verdammte Ursprung.«
Ich stehe verlegen vor ihnen und will ihre Aufmerksamkeit und ihre unhaltbaren Schlussfolgerungen abtun.
»Nun, dann gibt es doch noch Hoffnung für euch Dummköpfe.«
Es ist Sissy, die gesprochen hat. Wir drehen uns zu ihr um. Sie hat die Augen offen und den Kopf an die Sofalehne gestützt. Sie versucht zu lächeln. »Vielleicht sollte ich öfter in Ohnmacht fallen«, sagt sie. »Mich komplett rausziehen. Dann seid ihr gezwungen, selbst nachzudenken, und kommt offensichtlich auf ein paar ziemlich gute Ideen.«
»Ich war es, Sissy!«, ruft Ben und geht lächelnd zu ihr. »Ich war es, der zuerst darauf gekommen ist.«
Sie küsst ihn auf die Wange. »Aber selbstverständlich. Du bist schließlich mein Bruder, oder?«
Ben zeigt stolz auf mich. »Und er ist der Ursprung.«
28
Sissy ist erst wenige Minuten wach, als sie sich heftig in eine Schüssel übergeben muss. Sie wischt sich den Mund ab und erklärt, dass es ihr nun besser gehe, nachdem das Gift aus ihrem Körper heraus sei. Das Erbrochene stinkt übel, und ich trage die Schüssel nach draußen. Als ich zurückkomme, sind die anderen schon in eine hitzige Debatte verstrickt.
»Wir sollten in den Zug steigen«, sagt Jacob und umfasst mit der Hand den Ellbogen seines anderen Arms. »Ich glaube wirklich, dass der Forscher uns deshalb zu der Mission geführt hat. Dieser Ort ist wie ein Wartezimmer, bevor wir in den Zug zum Paradies steigen. Okay, es ist ein seltsames Wartezimmer voller sonderbarer Regeln, das mit eiserner Faust regiert wird. Das ist mir schon klar. Aber es ist trotzdem ein Wartezimmer.« Er seufzt ungeduldig. »Heute in einer Woche essen wir in schicken Läden oder werden mit allem Pomp durch die Stadt geführt und lachen über unseren albernen Verdacht. Dies ist die Zeit, zu feiern und nicht den Forscher im Nachhinein anzuzweifeln. Er hatuns hierhergebracht, damit wir in den Zug steigen. Ich meine, eindeutiger geht es doch wohl kaum.«
»Wenn es so ist, warum ist er dann nicht selbst in den Zug gestiegen?«, fragt Epap.
»Er hat darauf gewartet, dass wir, dass Gene – der Ursprung – eintrifft. Wahrscheinlich wollte er mit uns fahren und uns persönlich in die Zivilisation begleiten.« Jacob wedelt ärgerlich mit den Armen. »Er würde sich im Grab umdrehen, wenn er uns jetzt hören könnte.«
»Damit hast du meinen nächsten Einwand schon vorweggenommen. Nämlich, dass er im Grab liegt. Wenn er auf uns gewartet hat, warum hat er sich dann umgebracht?«, fragt Epap.
Jacob schluckt hart. »Ich weiß nicht«, antwortet er mit
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