Die Jaeger
Er würde Kurt mit dem Wissen nicht weiterleben lassen, vor allem nicht jetzt, da die Spione in Mullendorf weilten. »Tu so, als würdest du es nicht wissen, das ist am besten.«
Doch Kurt hörte nicht auf mich. »Ob er richtig Menschen jagt? Oder ob er nur von Tieren lebt? Hat er Zauberkräfte? Kann er durch Wände sehen?«
»Ich habe keine Ahnung. Wie kommst du darauf, dass er durch Wände sehen könnte? Das können Vampire generell nicht.«
»Ich hab da mal so eine Doku gesehen, aber es kann auch ein Horrorfilm gewesen sein. Ich weiß nicht mehr.«
Kurt war völlig hin und weg. Wie in Trance bewegte er sich um den Wagen herum und spekulierte, was Leif alles konnte. Ich hatte große Mühe, ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Und davon abzuhalten, sofort zu Leif zu stürmen und ihn zu bitten, ihn auch zu einem Vampir zu machen.
»Bist du verrückt!?«, zischte ich. »Du willst doch kein Vampir werden!«
»Doch, das wäre so cool«, erwiderte er. Seine Augen hatten etwas Träumerisches bekommen. »Ich könnte ewig leben, ich müsste nicht mehr die schrecklichen Eierkuchen meiner Mutter essen und ich hätte viel mehr Kraft als jetzt. Jeder hätte Respekt vor mir. Das wäre fantastisch.«
»Du würdest über kurz oder lang in einem Reservat landen und dort für den Rest deiner ewigen Tage stumpfsinnig in Kälte dahinvegetieren. Das willst du nicht.«
»Ich darf mich halt nicht erwischen lassen.«
»Die Vampirjäger sind überall, du kannst dich nicht für immer verstecken.«
Ich hatte es eigentlich zu Kurt gesagt, aber bei diesen Worten wurde mir auf einmal bewusst, dass sie auch für Leif und Robert galten. Und dass ich Recht hatte. Wie lange sollte das Versteckspiel noch gutgehen? Jeden Tag vermeldeten Fernsehen und Zeitungen neue Festnahmen. Tag für Tag rollten die tiefgekühlten Züge in die Lager und lieferten die Grabflüchter ihrem endgültigen Tod aus. Leif und Robert hatten bisher Glück gehabt, dass sie nicht entdeckt worden waren, aber es war tatsächlich nur eine Frage der Zeit, dass es passierte.
Und was wurde dann mit mir? Was würden sie mit mir anstellen, wenn sie herausfanden, dass ich Vampiren half? Auch über Menschen wie mich gab es genügend unschöne Berichte in den Medien. Die deutsche Regierung stand zudem kurz davor, ein Gesetz zu erlassen, das die Unterstützung von Grabflüchtern unter Strafe stellte. Dann würde ich für viele Jahre ins Gefängnis gehen. Für Robert würde ich es tun, aber nicht für Leif.
Ich ging einen Schritt auf Kurt zu. »Lass es, Kurt.« Meine Stimme klang eindringlich. »Leif ist ein Monster, er wird dich umbringen, wenn du ihm sagst, dass du von seinem Geheimnis weißt. Als ich es herausfand, hat er versucht, mich zu erwürgen. Nur durch Zufall lebe ich heute noch. Tu so, als wäre nie etwas geschehen. Lass dir nichts anmerken, sprich ihn niemals darauf an. Hörst du mich?«
Er zog kritisch die Augenbrauen zusammen. »Du weißt es schon länger?«
Ich nickte. Erstaunlicherweise schaffte Kurts sonst träges Gehirn, gleich zwei richtige Schlussfolgerungen an einem Tag zu ziehen. »Dann hast du ihm das Blutbesorgt?«
Wieder nickte ich.
»Und Robert? Weiß er es auch?«
Auf einmal ertönte Leifs Stimme hinter uns. »Was weiß Robert?«
Erschrocken fuhr ich herum. Leif stand in der Tür zur Werkstatt, müde und gezeichnet vom Hunger, und sah uns fragend an. Ich schloss für einen Moment die Augen und betete an alle Götter, die mir einfielen, dass er sich gerade erst dort hingestellt und weiter nichts gehört hatte.
Kurt schwankte, das konnte ich genau sehen. Er schwankte zwischen Faszination und Entsetzen und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Doch offenbar entschied er sich schließlich dafür, meinem Rat zu folgen. »Nichts«, antwortete er. »Er weiß gar nichts.«
Leif runzelte die Stirn. Solche Antworten waren ihm niemals ausreichend. Mir, ehrlich gesagt, auch nicht.
Schnell schluckte ich den Schreck hinunter und versuchte, normal zu klingen, weil mir glücklicherweise eine plausible Erklärung eingefallen war. »Dass sein Auto nicht repariert werden kann. Es ist Schrott.«
Leif schüttelte den Kopf. »Das haben wir ihm gestern gesagt, das weiß er.«
»Dann ist ja gut.« Ich tat so, als würde ich aufatmen. Auch Kurt spielte das Spielchen mit und gab vor, sich plötzlich wieder an das Telefonat erinnern zu können.
Das Misstrauen verschwand aus Leifs Gesicht. Er sah mich an und deutete mit dem Daumen auf den Laden. »Du
Weitere Kostenlose Bücher