Die Jaegerin
wanderte an Lucian vorbei zur Wand und blieb an Wasilis Leichnam hängen. An seinem Gürtel steckte eine Pistole. Wenn es ihr gelang, die Waffe zu erreichen … Vorsichtig wagte sie sich einige Zentimeter aus ihrem Versteck hervor. Ihr Blick wanderte in Richtung des Unendlichen. Er war fort! Hektisch suchten ihre Augen die Umgebung ab, soweit sie den Raum von ihrer Position aus zu erkennen vermochten, ohne ihn jedoch zu finden. Wieder peitschten Schüsse durch den Raum. Eine Kugel schlug neben ihr in den Altarfuß ein und sprengte kleine messerscharfe Splitter aus dem Stein, die ihr in die Wange schnitten. Alexandra fuhr zurück und duckte sich. Da erhaschte sie einen Blick auf einen der Männer. Die Pistole im Anschlag pirschte er sich von der Seite an Lucian heran, während seine Kameraden diesen von vorne ablenkten.
»Lucian! Rechts!«
Lucian reagierte sofort. Er wirbelte herum, packte den Silberdolch vom Altartisch und schleuderte ihn mit voller Wucht. Ein unterdrücktes Keuchen erklang, gefolgt von einem dumpfen Laut. Lucian hatte sein Ziel nicht verfehlt! Mit zwei rasend schnellen Schritten war er bei dem Toten, riss ihm die Pistole aus der Hand und wandte sich erneut den anderen Männern zu. Alexandra wollte ihm zurufen, er solle ihr Wasilis Waffe zuwerfen, als sich ein Schatten über sie senkte. Ehe auch nur der geringste Laut über ihre Lippen kam, beugte sich der Unendliche zu ihr herab. Blitzschnell schlug er ihr die Pistole aus der Hand, packte sie und zerrte sie unter dem Altar hervor. Wankend kam sie vor ihm zum Stehen. Da schoss seine Hand vor. Seine Finger schlossen sich um ihre Kehle, gruben sich schmerzhaft in die Blutergüsse, die Wasilis Griff dort hinterlassen hatte, und schnürten ihr einmal mehr die Luft ab. Er hob sie in die Höhe, sodass ihre Füße mehr und mehr den Kontakt zum Boden verloren. Ihre Stiefelspitzen scharrten Halt suchend über den Boden. Alexandra wollte mit dem Kreuz nach ihm zu schlagen.
»Fallen lassen!«
Sein Blick bohrte sich in ihren und zwang sie innezuhalten. Wehrlos hing sie in seinem Griff. Sie rang um Atem und versuchte die Kontrolle über ihren Willen zu behalten, doch ihre Entschlossenheit schmolz unter seinem Blick wie Schnee unter der Frühlingssonne.
»Fallen lassen!«, wiederholte er, jede Silbe betonend.
Alexandra spürte, wie sich ihre Finger lockerten. Sie kämpfte dagegen an, versuchte die Sehnen und Muskeln ihrer Hand in Starre zu halten, doch ihr Griff um das Kreuz löste sich mehr und mehr. Dann fiel es mit einem vernehmlichen Poltern zu Boden. Sie wand sich, um sich zu befreien. Lucian setzte zum Angriff an. Da zog der Unendliche Alexandra mit dem Rücken fest zu sich heran. Seine Arme legten sich um ihr Genick.
»Bleib, wo du bist, Lucian, sonst ist sie tot!«
Lucian wagte dennoch einen Schritt auf ihn zu.
»Das ist meine letzte Warnung, Bruder!« Um seine Drohung zu unterstreichen, drehte der Unendliche Alexandras Kopf so weit zur Seite, dass ihre Wirbel bedrohlich knackten. Ein scharfer Schmerz schoss durch ihren Nacken. Noch ein wenig mehr und er würde ihr das Genick brechen.
Lucian hielt abrupt inne und ließ die Pistole fallen. Ein tiefes Grollen stieg aus seiner Kehle auf. Zum ersten Mal, seit Alexandra ihm begegnet war, hatten seine Augen alle Farbe verloren. Die Bestie in ihm gewann die Oberhand. Knurrend stand er da, die messerscharfen Fangzähne bedrohlich im Lampenschein schimmernd, die Hände zu todbringenden Klauen verkrümmt. Sein Blick zuckte umher, doch er rührte sich nicht.
»Holt ihn euch!«, befahl der Unendliche seinen Männern mit durchdringender Stimme.
Der unerbittliche Griff in ihrem Genick machte Alexandra das Atmen schwer. Das Blut rauschte in ihren Ohren und überlagerte nahezu jeden Laut. Zu sehen, dass Lucian seinem Vampyr-Ich erlaubte die Kontrolle zu gewinnen, war erschreckend. Noch schlimmer jedoch war es, zu sehen, wie die verbliebenen neun Männer des Unendlichen langsam näher rückten – vorsichtig, ohne Lucian dabei auch nur für einen Moment aus den Augen zu lassen –, während er keinerlei Anstalten machte, etwas zu tun. Er wird sich nicht wehren! Er würde sich umbringen lassen. Ihretwegen! Ihr Blick griff nach ihm. »Nein!«, keuchte sie atemlos.
»Sei still«, zischte der Unendliche und zog sie fester an sich. Unter der Kraft seines Griffs spannte sich ihre Nackenmuskulatur bis zum Äußersten. Der Druck seiner Finger nahm ihr den Atem. Ihre Gliedmaßen wurden schwer und ihr Sichtfeld verengte
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