Die Jagd am Nil
ein zweites Evangelium geschrieben, das Geheime Markusevangelium. Auf jeden Fall glauben einige Leute, dass ein solcher Text existiert.» Er gab ihr eine kurze Zusammenfassungdessen, was Kostas ihm erzählt hatte, dass der Brief als Fälschung abgetan worden war, aber dass Peterson an den Wänden dieser antiken Anlage etwas gefunden hatte, was ihn auf den Gedanken gebracht haben musste, das Geheime Evangelium könnte doch existieren: Ein Wandgemälde, das Jesus und einen anderen Mann beim Verlassen einer Höhle darstellte, während eine kniende Gestalt flehte: ‹Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir.›
«Und?», fragte Gaille.
«Im Geheimen Evangelium soll angeblich genau diese Begebenheit beschrieben worden sein. Das Wandgemälde scheint zu beweisen, dass die Begebenheit tatsächlich stattgefunden hat, und ist deshalb wiederum ein Beweis dafür, dass das Geheime Evangelium doch authentisch ist.»
«Aber warum könnte das Wandgemälde nicht einfach eine ähnliche Begebenheit darstellen?», bemerkte sie stirnrunzelnd. «Wie die mit Bartimäus, zum Beispiel?»
«Bartimäus?»
«Sie werden doch von ihm gehört haben. Der Blinde, der Jesus anflehte, dass er ihn heilen möge. Er benutzte genau diese Worte: ‹Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir.› So steht es im Markusevangelium, und ich glaub auch im Matthäusevangelium.»
Nun war es an Augustin, die Stirn zu runzeln. Er war von seiner Argumentation überzeugt gewesen. Doch dann erkannte er die Antwort und musste lachen. «Ihr Reverend kennt diese Geschichte ebenfalls nicht.»
«Natürlich kennt er sie», protestierte Claire. «Er ist Priester.»
«Ja», räumte Augustin ein. «Aber ein Priester des Alten Testaments. Er predigt nur Hölle und Verdammnis, nicht Liebe und Vergebung. Haben Sie sich mal seine Website angesehen? Alles ist voll mit dem Wort Christi, aber alle Bezüge stammen aus denBüchern Mose und nie aus dem Neuen Testament, nie von Christus selbst.»
«Das kann nicht Ihr Ernst sein.»
«Dann erzählen Sie mir das Gegenteil. Sie werden doch seine Predigten gehört haben. Können Sie sich erinnern, dass er jemals Christus zitiert hat?»
In dem Moment stieß die Schaufel des Baggers auf etwas Festes und bewahrte Claire vor einer Antwort. Der Fahrer stoppte und setzte zurück, sodass Augustin in die Grube klettern konnte. Mit dem Fuß schob er den restlichen Sand von der Luke und hob sie an. Darunter führten Stufen hinab. Völlig unbekannte Gefühle wallten in ihm auf, als er zu Claire hinaufschaute. «Ich danke Ihnen», sagte er.
II
Knox klaubte Petersons Autoschlüssel aus dem nassen Sand und fand auch seine Brieftasche und das Handy. Wahrscheinlich hatten die Polizisten den Toyota entdeckt und lagen dort auf der Lauer, aber er hatte kaum eine andere Wahl, als es darauf ankommen zu lassen. Doch das Glück war mit ihm. Er startete den Motor und spähte durch die beschlagene Windschutzscheibe in die dunkle Nacht. Obwohl er nichts sehen konnte, wagte er es nicht, die Scheinwerfer einzuschalten. Ein in der Ferne aufflackernder Blitz versorgte ihn mit einem Schnappschuss der offenen Wüste, sodass er blind losfahren konnte, bis der nächste Blitz ihm eine weitere Orientierungshilfe verschaffte. Nachdem er sich weit genug vom Lager entfernt hatte, schaltete er die Scheinwerfer an und erreichte bald die Baumreihe, die die Grenze zwischen dem bebauten Land und der Wüste markierte. Nach einer Weilefuhr er in ein Zuckerrohrfeld und ließ den Wagen durch die hohen Stängel rollen, bis er am Ende des Feldes stehen blieb, sodass er im Notfall schnell verschwinden konnte. Dann schaltete er die Scheinwerfer aus und die Heizung an.
Und jetzt?
Gaille war in Assiut, gut siebzig Kilometer weiter südlich. Da die Polizei nach ihm fahndete, war es unmöglich, auf den Hauptstraßen dorthin zu gelangen. Und nicht einmal ein Geländewagen würde es bei diesem Wetter durch die Wüste schaffen. Aber im Grunde war sowieso alles zwecklos. Indem er den Laptop und die Fotos zerstört hatte, hatte Peterson ihm jede Chance genommen, Gailles versteckte Nachricht zu entziffern.
In diesem Moment erinnerte er sich an das ferngesteuerte Flugzeug, das über Borg geflogen war. Er nahm Petersons Handy und tippte Augustins Nummer ein. Die Mailbox sprang an. Also schrieb Knox eine SMS, in der er seinen Freund bat, ihn sofort zurückzurufen. Dann wartete er.
III
Als Farooq Petersons Ausgrabungsstätte in Borg el-Arab erreichte, waren die Wachleute verschwunden und das Büro
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