Die Jagd am Nil
flackerten kurz, als der Wagen, gefolgt von einem zweiten, die Gleise überquerte. Knox suchte links und rechts nach einem Fluchtweg, aber die Gleise warenmit Wassergräben gesäumt, durch die nicht einmal der Toyota kommen würde.
Von vorn näherte sich langsam ein ratternder Güterzug, ein Ungetüm mit unzähligen Waggons. Knox raste los, um vor ihm an der Kreuzung zu sein, doch der Zug erreichte sie zuerst und versperrte ihm den Weg. Bei der Geschwindigkeit des Zugs saß er für eine ganze Weile fest, und die Polizeiwagen holten mit heulenden Sirenen und Blaulichtern schnell auf. Es hatte keinen Zweck. Knox stopfte das Telefon, die Brieftasche, einen Stift und alles, was er brauchen könnte, in seine Taschen, sprang aus dem Wagen, lief auf den Zug zu, bekam eine Leiter zu fassen und kletterte auf das Dach eines Waggons. Der Zug war von links gekommen, er fuhr also nach Süden, vielleicht sogar bis Assiut, wo nach Gaille gesucht wurde. Aber Knox hatte kein Interesse mehr an Assiut. Er wusste jetzt, warum Gaille versucht hatte, seine Aufmerksamkeit auf das Mosaik zu lenken. Die Lösung des Rätsels führte ihn nicht nach Süden sondern nach Osten.
Er fand eine Leiter auf der anderen Seite des Dachs, kletterte hinunter, sprang von dem fahrenden Zug und rollte sich bei der Landung ab. Der Nil war einige Kilometer entfernt. Knox kämpfte sich durch ein Dickicht, gelangte auf ein Feld, und als er über den matschigen Boden lief und seine Füße das Wasser aufspritzten, sah er im Geiste das Geheimnis des Mosaiks vor sich.
КεΝΧΑΓΗΝ ΘεΔΙ ΤΡΣΚ.
Echnaton, Theoeides, Threskia.
Echnaton, von göttlicher Gestalt, Diener Gottes.
II
Der Empfang von Naguibs Polizeifunk wurde immer wieder unterbrochen. Verärgert schlug er mit der Hand auf das Gerät. Mit einem Mal legte sich das Rauschen, und eine hitzige Diskussion war zu hören. «Er ist entkommen. Er ist entkommen.»
«Hab ihn gesehen.»
«Er will zum Zug. Halte ihn auf.»
«Er ist schon im Zug! Er ist schon im Zug!»
«Folge ihm!»
«Halte den Zug auf. Halte den verdammten Zug auf.» Wieder ein Rauschen. «Was soll der Scheiß? Du weißt nicht wie? Folge ihm, du Idiot! Überhol ihn! Gib dem Lokführer ein Zeichen. Was weiß ich.»
Naguib löste die Handbremse seines Ladas und ließ den Wagen einen leichten Hang hinunterrollen, um im Schutz einer Baumgruppe so nah am Nilufer anzuhalten, wie es bei diesem schrecklichen Wetter möglich war. Wenn er sich nicht täuschte, fand die Fahndung ungefähr einen Kilometer stromaufwärts auf der anderen Seite des Flusses statt. Er schaltete seine Scheinwerfer an, die durch die Neigung des Hangs hinabstrahlten und auf der schäumenden Oberfläche des Nils leuchtende, gelbe Ellipsen bildeten, in denen sich Millionen Regentropfen spiegelten.
Für einen Augenblick empfand er eine herrliche innere Ruhe, wie sie sich einstellte, wenn man die Antwort noch nicht ganz gefunden hatte, aber genau wusste, dass sie jeden Moment kommen würde. Und dann war sie da.
Licht von unten.
Ja!
Wie blind er gewesen war! Wie blind alle gewesen waren!
III
Angesichts des erwarteten Unwetters hatten die Fischer ihre Ruderboote ein ganzes Stück weit das Nilufer hinaufgezogen und dann umgedreht. Es dauerte einen Moment, bis Knox ein Boot mit einem Paar kräftiger, langer Skulls gefunden hatte. Er richtete es auf, zog es zum Fluss und schaute sich um. Niemand war zu sehen. Wenn er Glück hatte, glaubte die Polizei, dass er noch auf dem Zug war.
Er schob das Boot in die Strömung, sprang hinein und begann zu rudern. Ihm schwirrte der Kopf angesichts der verwickelten Bedeutungen des Mosaiks. War es wirklich möglich, dass es etwas mit Echnaton zu tun hatte? Oder ging die Phantasie mit ihm durch? Er hatte den Theorien einer möglichen Verbindung zwischen Amarna und dem Exodus nie großen Glauben geschenkt. Trotz ihrer vordergründigen Plausibilität gab es ausgesprochen wenig handfeste Beweise, die sie unterstützten. Er war Archäologe, er hatte gern handfeste Beweise. Doch das Mosaik hatte alles verändert.
Echnaton, Theoeides, Threskia.
Nicht nur der Begriff
theoeides
war mit Echnaton verbunden, sondern auch
threskia
. Die Griechen hatten kein Wort für Religion gehabt,
threskia
käme ihm wohl am nächsten. Es war ein Begriff für alles, was im Dienste der Götter getan wurde, aber auch für die Menschen, die diese Dienste ausführten; daher wurde er manchmal mit ‹Diener der Götter› übersetzt. Die Gelehrten stritten noch
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