Die Jagd am Nil
Hände zitterten.
Mit schlechtem Gewissen musste er an Claire denken, aber er schob diese Sorge beiseite. Eins nach dem anderen. In fünfundvierzig Minuten konnten sie in die Maschine steigen. Mit etwas Glück würden sie in ungefähr zwei Stunden den ägyptischen Zuständigkeitsbereich verlassen haben. Dann konnte er sich um Claire Gedanken machen.
Er ließ kaltes Wasser über seine Hände laufen und legte sie sich fast wie im Gebet auf das Gesicht. Er trocknete sich mit einem Papierhandtuch ab, das er zusammenknüllte und auf einen überfüllten Mülleimer warf; es fiel zu Boden. Aus Schuldgefühl hob er es auf und steckte es in seine Tasche. Dann probierte er ein Lächeln vor dem Spiegel und bemühte sich, es zu halten, als er zu seinen Studenten zurückkehrte.
II
In der Dunkelheit dauerte es eine Weile, bis Knox den Polizisten im Schutz der Bäume stehen sah, eine Waffe in der Hand, als wäre er bereit, sie jederzeit zu benutzen, doch noch nicht in diesem Moment. Er war klein und schlank, strahlte aber eine ruhige Selbstsicherheit aus, sodass Knox nicht einmal auf den Gedanken kam davonzurennen. «Sie sind Daniel Knox», sagte er.
«Ja», gab Knox zu.
«Ich werde Ihnen ein paar Fragen stellen. Lügen Sie, wenn Siewollen, das ist Ihre Sache. Aber es wäre klug von Ihnen, die Wahrheit zu sagen.»
«Was für Fragen?»
«Fangen wir damit an, was Sie hier tun?»
«Ich suche jemanden.»
«Wen?»
«Ihr Name ist Gaille Bonnard. Sie wurde als Geisel genommen …»
«Ich weiß. Aber sie wurde in Assiut entführt. Was machen Sie also hier?»
«Ich glaube nicht, dass es in Assiut war», sagte Knox. «Ich glaube, dass es hier passiert ist.»
«Ich bin Naguib Hussein», sagte der Polizist. «Meine Frau und ich, wir haben Sie einmal im Fernsehen gesehen. Das waren doch Sie, oder? Sie haben mit dieser Gaille und dem Generalsekretär die Entdeckung des Alexandergrabs verkündet, oder?»
«Ja.»
«Meine Frau hat gesagt, dass Sie nett aussehen. Es versetzt mir einen Stich, wenn meine Frau das über einen Mann sagt. Ich glaube, deswegen hat sie es gesagt. Aber Ihr Name ist mir im Gedächtnis geblieben. Und als ich in meinem Funkgerät hörte, dass meine Kollegen nach einem Daniel Knox suchen, da dachte ich, aha, er macht sich Sorgen um seine Freundin, er ist gekommen, weil er ihr helfen will.»
Knox deutete mit einer Kopfbewegung zum anderen Ufer. «Haben Sie das Ihren Kollegen erzählt?»
«Das hätte wenig Sinn, glauben Sie mir. Mein Chef hält nicht viel von mir. Und er hat mir heute schon einmal gesagt, dass ich ihn nicht mehr mit meinen verrückten Ideen über seltsame Vorgänge in Amarna belästigen soll.»
«Seltsame Vorgänge?», fragte Knox.
«Ich dachte mir, dass Sie das interessieren wird», erwiderte Naguib lächelnd. Er senkte seine Waffe und deutete stromaufwärts. «Mein Wagen steht in dieser Richtung», sagte er. «Vielleicht sollten wir aus dem Regen gehen und uns gegenseitig erzählen, was wir wissen.»
III
Solange sie denken konnte, war Lily von Selbstmordgedanken gequält worden. Meistens waren es nur kurze Anflüge, die so schnell wieder vorübergingen, wie sie gekommen waren. Aber manchmal hatten die Gedanken nicht verschwinden wollen und sie für Stunden und Tage und sogar Wochen verfolgt. Sie waren immer intensiver geworden, bis sie das Gefühl gehabt hatte, nie wieder davon loskommen zu können. Jedes Mal, wenn es ihr zu viel geworden war, hatte sie sich irgendwo zurückgezogen, sich vor der Welt versteckt und sich den Tränen hingegeben.
Ich wünschte, ich wäre tot,
hatte sie geschrien.
Ich wünschte, ich wäre endlich tot.
Und sie hatte es auch so gemeint. Auf jeden Fall war ihr Wunsch, alles hinter sich zu lassen, ernst gemeint gewesen. Doch abgesehen davon, sich an den Rand eines Bahnsteigs zu stellen, wenn die Züge vorbeirasten, oder wütend vom oberen Balkon eines Hochhauses zu starren, hatte sie nie einen Schritt in diese Richtung unternommen.
Immer noch strömten die Wassermassen erbarmungslos auf sie nieder. Lily kniete auf dem Schutthaufen, das Wasser reichte ihr bis zum Hals. Sie hatte einen Arm um Gaille geschlungen, der Kopf der Bewusstlosen ruhte auf Lilys Schulter, während ihre Beine im Wasser trieben. Die Kälte drang Lily bis in die Knochen, sodass sie immer wieder heftig zu zittern begann.
Furchtbare Erinnerungen aus ihrer Kindheit suchten sie heim. Sie stand in der Dunkelheit vor einem Haus, in dem eine Feier tobte, und versuchte, all ihren Mut aufzubringen,
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