Die Jagd am Nil
Stadt.»
«Reizend», meinte Stafford, der schon kein Interesse mehr an dem Thema hatte. Er drehte sich zu Lily um. «Welches Gepäck haben wir verloren?»
«Nur die persönlichen Sachen, glaube ich», sagte Lily. «Unser Equipment habe ich gerettet.»
«Meine Sachen sind weg, nehme ich an.»
«Die von uns beiden.»
«Und was soll ich jetzt vor der Kamera tragen, verdammt?»
«Wir werden etwas finden, keine Sorge.» Das Lächeln war Lily in den letzten Tagen immer schwerer gefallen. So erging es jedem, der für Stafford arbeitete, erst recht dann, wenn man zweite Wahl war, weil die eigenen Kollegen Reißaus genommen hatten. Am vorigen Abend beim Essen hatte er von seiner jüngsten Reise nach Delphi schwadroniert.
Gnothi seauton
lautete eine Maxime des Orakels.
Erkenne dich selbst
. Stafford hatte sich zurückgelehnt und behauptet, es wäre sein Rezept für ein erfülltes Leben. Lily hatte losprusten müssen und atomisierte Weißweintropfen auf der Tischdecke versprüht. Nie zuvor hatte sie einen Menschen kennengelernt, der über so wenig Selbsterkenntnis verfügte und trotzdem dermaßen erfolgreich und selbstzufrieden war. Da musste man schon Narziss sein und unerschütterliches Vertrauen in seine Größe und Einzigartigkeit haben. Und Leute, die einen dafür bewunderten. Dass Stafford tatsächlich eine riesige Fangemeinde hatte, bewies einmal mehr, wie idiotisch die Menschheit war. Man beurteilte andere so, wie man selbst gesehen werden wollte. Lily wandte sich wieder an Gaille. «Fatima hat gesagt, Sie würden uns morgen begleiten. Das ist sehr nett von Ihnen.»
«Morgen?», entgegnete Gaille. «Was meinen Sie?»
«Hat sie nichts davon gesagt?»
«Nein», sagte Gaille. «Hat sie nicht. Warum? Was ist passiert?»
«Wir drehen in Amarna. Unser Führer ist desertiert.»
«Zum Glück sind wir den los», knurrte Stafford. «Der Mann war eine Plage.»
«Deswegen mussten wir den Zug nehmen», sagte Lily. «Ihre Professorin hat gesagt, sie würde uns begleiten. Aber nun ist anscheinend etwas dazwischengekommen. Deshalb stehen wir ziemlich auf dem Schlauch. Wir brauchen nicht nur einen Expertenvor der Kamera, obwohl das schon wunderbar wäre. Vor allem spricht keiner von uns Arabisch. Für unsere Dokumentation spielt das zwar keine Rolle, aber ich habe keine Ahnung, wie hier alles funktioniert. Jedes Land hat seine eigenen Sitten, nicht wahr?»
«Ich werde mit Fatima sprechen, sobald wir dort sind», erwiderte Gaille seufzend. «Wir werden bestimmt etwas organisieren können.»
«Danke», sagte Lily und drückte Gailles Schulter. «Das ist großartig von Ihnen.» Schlechtes Gewissen kam in ihr auf, das sie schnell unterdrückte. Es war eine der heimlichen Strafen der Hässlichkeit, dass einem niemand freiwillig seine Hilfe anbot. Man musste andere Wege finden, um zu bekommen, was man wollte: Schmeichelei, Tauschgeschäfte, Bestechung, Erregen von Mitleid.
Der Wagen kam langsam zum Stehen. Lily schaute nach vorn. Die Straße war durch Metallbarrikaden und einer Reihe Polizisten in schwarzen Uniformen und Helmen versperrt. Dahinter zog der Protestmarsch vorbei, hitzige junge Männer in Gewändern, Frauen mit perfekten ovalen Gesichtern unter den Kopftüchern, andere vollständig verschleiert. Als Kind hatte Lily die muslimischen Frauen beneidet, die sich unter einer Burka verstecken konnten. «Ich frage nur ungern», murmelte sie, «aber sind Sie sicher, dass dies der richtige Weg ist?»
II
Knox und Omar lehnten am Jeep, während sie auf Griffin warteten. «Maha hat erzählt, das hier wären Einschusslöcher von dieser Alexander-Sache», sagte Omar und fuhr mit der Hand über die ausgebesserte Karosserie. «Das war nur Spaß, oder?»
«Leider nicht.»
Omar lachte. «Aber Sie leben noch, Daniel.»
«Noch.» Er bückte sich, um den Boden zu untersuchen. Die Ausgrabungsstätte lag auf einem nackten Kalksteinhügel, der ungeeignet war für Landwirtschaft und auf dem sich weder Industrie noch Ortschaften angesiedelt hatten. Wenn hier in früheren Zeit Menschen gelebt hatten, dann war es gut möglich, Spuren von ihnen zu finden. Als Knox Schritte hörte, schaute er auf. Zwei Männer mittleren Alters kamen um die Hütte herum, ihre Kleidung und ihr Haar waren mit Staub und Spinnweben bedeckt. «Mister Tawfiq», sagte der erste und streckte seine rechte Hand aus. Unter der Achsel konnte man einen dunklen Schweißfleck sehen. «Ich habe gehört, Sie sind der neue Leiter der Antiquitätenbehörde in Alexandria.
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