Die Jagd am Nil
Kribbeln, auch wenn er nicht wusste, warum.
Hinter ihm schlug eine Tür zu. Als er sich umdrehte, sah er zwei weitere Polizisten mit finsteren Mienen auf ihn zukommen. «Eine Freundin von mir», erklärte er und zeigte auf den Bildschirm. «Sie ist gekidnappt worden. Bitte, ich muss …»
Der erste Schlag traf ihn auf dem Oberschenkel. Er hatte ihn nicht kommen gesehen, hatte keine Zeit gehabt, sich dagegen zu wappnen. Der Schmerz fuhr ihm bis in die Hüfte, er sank auf die Knie. Der zweite Schlag prallte von seinem Schulterblatt gegen den Hinterkopf. Als er zu Boden stürzte, tanzten ihm Sterne vor den Augen. Plötzlich sah er sich im Jeep sitzen und mit Omar auf dem Beifahrersitz über einen Witz lachen. Dann wurde er an denHaaren gepackt und jemand knurrte etwas in sein Ohr, das Dröhnen in seinem Schädel war jedoch so laut, dass er kein Wort verstehen konnte. Als sein Kopf wieder losgelassen wurde, knallte er mit der Wange auf den kalten Steinboden. Schließlich zogen sie ihn an den Füßen zurück in seine Zelle.
IV
Naguib ging gähnend in die Küche. Sein Mund war trocken, seine Augen verquollen, und er freute sich auf sein erstes Glas Tee am Morgen. Seine Frau stand so gebannt vor dem Fernseher, dass sie sich nicht einmal umschaute. «Was ist los?», fragte er.
«In Assiut sind gestern Abend ein paar Europäer gekidnappt worden. Fernsehleute. Es heißt, sie hätten gestern in Amarna gedreht. Hast du sie gesehen?»
«Nein.»
«Diese Frau war offenbar an der Entdeckung des Grabmals von Alexander beteiligt. Erinnerst du dich an die Pressekonferenz mit dem Generalsekretär und diesem anderen Mann?»
«Den du so gutaussehend fandest?»
Yasmine wurde rot. «Ich habe nur gesagt, dass er nett aussieht.»
«Was haben sie sonst noch gesagt?»
«Nur, dass ihr Wagen ausgebrannt in Assiut gefunden wurde und ein armer, halbblinder Mann dafür bezahlt wurde, die DVD beim Fernsehsender abzugeben. Sie wird ununterbrochen gezeigt. Offenbar verlangen die Entführer, dass die Leute freigelassen werden, die für die Vergewaltigung und den Mord an den beiden Mädchen verhaftet worden sind.»
Naguib runzelte die Stirn. «Terroristen wollen, dass Vergewaltiger und Mörder freigelassen werden?»
«Sie sagen, sie wären unschuldig.»
«Trotzdem seltsam.»
«Diese arme junge Frau», sagte Yasmine. «Wie steht sie das nur durch?»
Naguib legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter. Das Video wurde ständig auf einem kleinen Bild im Bild wiederholt, sodass er die furchtbare Angst der Geiseln sehen konnte, die blutende Wunde auf der Wange des Mannes und das nach oben strahlende Licht, das komische Schatten auf die Gesichter warf. Währenddessen beklagten die Kommentatoren diesen Angriff auf den Staat und diskutierten die Schritte, die die Regierung unternehmen würde. Auch er konnte kaum den Blick abwenden, obwohl er im Büro seine Schreibarbeit erledigen und nebenbei noch Zeit finden musste, um die örtlichen
ghaffirs
zu treffen. Doch anders als seine Frau fesselte ihn nicht das reine Mitgefühl. Es war etwas anderes. Tief in seinem Inneren meldete sich sein Ermittlerinstinkt. Ihm war nur nicht ganz klar, warum.
Kapitel 32
I
Knox’ Lippen fühlten sich wund und klebrig an. Er fuhr mit der Hand darüber, die danach blutverschmiert war. Als er sich auf der harten Pritsche aufrichtete, wurde ihm schwindlig, und er brauchte einen Moment, um wieder zu sich zu kommen. Aber das war nichts, verglichen mit den Bildern, die ihn heimsuchten.
Gaille kniend und verängstigt, in der Gewalt von Terroristen.
Er beugte sich vor, weil er glaubte, sich übergeben zu müssen, doch irgendwie hielt er es bei sich. Er stand auf, ging benommen zur Tür und spähte durch das Fenster. Im Fernsehen liefen noch immer die Nachrichten, allerdings war der Ton ausgestellt worden. Da war sie wieder und las die Botschaft vor, deren Worte sich ihm bereits eingeprägt hatten.
Die islamische Bruderschaft von Assiut. Behandeln uns gut. Es sei denn, man versucht, uns zu finden. Unversehrt freigelassen, wenn die Männer freigelassen werden. Wenn sie nicht innerhalb von vierzehn Tagen freigelassen werden …
Dieser Ausdruck in ihrem Gesicht. Ihre zitternden Hände. Sie kämpfte gegen die Angst, die Angst vor einer unmittelbar drohenden Gefahr, nicht vor etwas, das in vierzehn Tagen geschehen würde. Knox hatte keine Kinder, aber er fühlte sich in diesem Moment so, wie Eltern sich fühlen müssen, er spürte diesen dringenden Wunsch, etwas zu tun,
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