Die Jagd am Nil
Abdullah. «Dann werde ich es tun. Aber nicht, dass du nachher mit dem Finger auf mich zeigst, wenn alles schiefgeht.»
«Nein», sagte Faisal. «Keiner von uns tut es. Es ist nicht richtig. Es ist einfach nicht richtig. Das weißt du auch.»
«Willst du das Captain Khaled erzählen, ja?», schnaubte Abdullah.
Faisal verzog sein Gesicht. Abdullah hatte recht. Er war bisher erst einmal von Khaled verprügelt worden, aber danach hatte er eine Woche im Krankenhaus gelegen, und nach einer Wiederholung stand ihm nicht der Sinn. «Wie lautete sein Befehl genau?», fragte er.
«Hab ich doch gesagt. Wir sollen sie zum Schweigen bringen.»
«Zum
Schweigen
bringen!», wiederholte Faisal. «Und warum hat er gerade dieses Wort benutzt, hä? Damit er sagen kann, wir hätten seinen Befehl falsch verstanden, wenn die ganze Sache auffliegt. Wir werden aufgehängt, während er mit einer Ermahnung davonkommt.»
«Glaubst du, das würde er tun?»
«Natürlich würde er das tun», sagte Faisal. «Glaubst du wirklich, dass alles, was wir hier gefunden haben, wertlos war, so wie er es uns gesagt hat? Schwachsinn. Er hat nur alles für sich behalten. Es geht immer nur um ihn, um ihn, um ihn.»
Abdullah wurde nachdenklich. Es war ein Verdacht, den sie alle hegten. «Und was schlägst du vor?»
«Wir machen genau das, was er gesagt hat. Wir bringen sie zum Schweigen.»
«Verstehe ich nicht.»
«Die beiden Bretter hier. Wir legen eins auf jede Seite des Schachts. Dann breiten wir die Decken und Tücher dazwischen aus und nageln sie auf die Felsen. Da kommt kein Geräusch mehr durch, erst recht nicht, wenn wir auch noch den Eingang des Grabmals verschließen.»
«Ich weiß nicht.» Abdullah schüttelte sich. «Wenn er es herausfindet …»
«Wie soll er es herausfinden? Ich werde es ihm nicht sagen. Du etwa?»
«Trotzdem.»
«Du willst sie also lieber umbringen, ja?»
Abdullah schaute in den Schacht hinunter, überlegte kurz und verzog dann das Gesicht. «Na schön», sagte er. «Legen wir los.»
III
Knox tat alles weh, als er versuchte einzuschlafen. Die Zelle war kalt, die Pritsche hart, und seine Zellengenossen schnarchten um die Wette. Im Aufenthaltsraum lief der Fernseher noch immer in voller Lautstärke. Die Ägypter schien das überhaupt nicht zu stören, sie konnten in jeder Situation abschalten, während sich Knox in all den Jahren, die er in diesem Land lebte, nie an den ständigen Lärm gewöhnt hatte.
Erst in den frühen Morgenstunden fiel er in einen unruhigen Dämmerschlaf. Er war sich nicht sicher, wie lange er gedöst hatte, als er eine vertraute Stimme hörte. Gailles Stimme. Zuerst hielt er es für einen Traum und musste lächeln. Doch dann wurde ihm klar, dass es kein Traum war. Er merkte es an ihrer Wortwahl und an ihrem Tonfall. Er zuckte zusammen, richtete sich auf und lief an die Zellentür. Durch das Sichtfenster konnte er auf dem Fernseher die albtraumhafte Ikonographie des modernen Terrorismus erkennen. Gaille und zwei andere auf dem Boden, dahinter zwei Maskierte mit Gewehren vor der Brust.
«Gaille», stieß er ungläubig hervor. Er hämmerte mit der Faust gegen die Tür. «Gaille!»
«Ruhe, verdammt», brummte einer seiner Zellengenossen.
«Gaille!», rief er. «Gaille!»
«Ruhe, hab ich gesagt!»
«Gaille!»
Eine Tür knallte zu, Schritte näherten sich, ein verschlafenerPolizist spähte in die Zelle. Er betrachtete Knox finster und trat gegen die Tür. Knox nahm ihn kaum wahr und schaute an ihm vorbei auf den Fernseher. Es war eindeutig Gaille. Hilflos und verwirrt rief er wieder ihren Namen. Der Polizist schloss die Zellentür auf, öffnete sie und klopfte drohend mit dem Schlagstock gegen sein Bein. Aber Knox stürzte einfach an ihm vorbei in den Aufenthaltsraum und starrte entsetzt auf den Bildschirm.
Der Polizist packte ihn an den Schultern. «Zurück in die Zelle», forderte er ihn auf. «Oder ich muss …»
«Das ist eine Freundin von mir», fauchte Knox. «Ich muss das sehen.»
Der Polizist trat einen Schritt zurück, und Knox konzentrierte sich wieder auf den Fernseher. Die Aufnahmen von den Geiseln waren vorbei, nun waren ein Mann und eine Frau in einem Nachrichtenstudio zu sehen. Niemand kannte die islamische Bruderschaft von Assiut, die Behörden waren jedoch zuversichtlich, diese Krise friedlich zu lösen. Ein Filmausschnitt zeigte erneut die Geiseln. Gelähmt beobachtete Knox, wie Gaille sich in Positur setzte und beim Sprechen die rechte Hand hob. Er spürte ein
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