Die Jagd am Nil
in Schwierigkeiten. Ich muss alles wissen.»
Kostas betrachtete ihn eine Weile finster, seufzte dann aber undließ sich erweichen. «Na schön», sagte er und führte Augustin wieder in seine Bibliothek. «Was wissen Sie bereits?»
«Nicht viel», meinte Augustin achselzuckend. «Vor ein paar Jahren war eine Amerikanerin hier, die für ein Buch über die Evangelisten recherchiert hat. Ich glaube, sie hieß Maria.»
«Ach, genau», sagte Kostas nickend. «Ich erinnere mich. Hatten Sie beide nicht …?»
«Wir sind ein paar Mal ausgegangen», räumte Augustin ein. «Sie hat mir erzählt, dass Markus in Wirklichkeit zwei Evangelien geschrieben hat. Eines für die ungebildete Masse und ein anderes für seinen engsten Kreis. Dieses zweite wurde das Geheime Markusevangelium genannt, und es enthielt geheimnisvolle und kontroverse Lehren. Es hatte etwas mit den Karpokratianern zu tun. Aber das ist alles, was ich weiß.»
Kostas seufzte. «Wie gesagt, solch ein zweites Evangelium hat es nie gegeben.»
«Das sagen Sie.»
«Ja, das sage ich. Sie haben davon gehört, weil in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ein junger amerikanischer Wissenschaftler namens Morton Smith im Kloster von Mar Saba geforscht hat. Er behauptete, auf den leeren Seiten am Ende einer Ausgabe der Briefe des heiligen Ignatius die Abschrift eines Briefes gefunden zu haben. Das ist zunächst nichts Ungewöhnliches, weil Papier damals so knapp und wertvoll war, dass häufig zu dieser Praxis gegriffen wurde. Allerdings war dieser Brief bis dahin unbekannt. Er war angeblich von Clemens von Alexandria geschrieben worden und hatte einen brisanten Inhalt. Insgesamt also ein bedeutender Fund, mit dem sich Morton Smith einen Namen gemacht hat. Wie durch einen unglaublichen Zufall bestätigte dieser Fund darüber hinaus eine von Smiths Lieblingstheorien, für die es ansonsten äußerst wenig Beweise gab.»
«Wie praktisch.»
«Er hat zwei Bücher darüber geschrieben», fuhr Kostas nickend fort. «Eines für die allgemeine Öffentlichkeit, das andere für Fachleute.»
«Genau wie beim Markusevangelium.»
«Richtig», pflichtete Kostas ihm bei. «Zweifellos einer seiner albernen Versuche, der Fachwelt einen Streich zu spielen.»
«Einen Streich zu spielen?»
Kostas verzog das Gesicht. «Für akademische Historiker besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen einer Fälschung und einem Streich. Ein Streich soll sogenannte Fachleute als naive Idioten entlarven, und der Verursacher gibt sich normalerweise zu erkennen, sobald er seinen Spaß hatte. Eine Fälschung soll die Welt dagegen für alle Ewigkeit hinters Licht führen und ihrem Urheber zudem Geld einbringen. Das Erste ist boshaft und äußerst ärgerlich, lässt die Leute aber wenigstens wachsam bleiben. Das Zweite ist unverzeihlich. Und damit steht jeder, der vorhat, der Fachwelt einen Streich zu spielen, vor einem gehörigen Problem. Denn was geschieht, wenn sein Streich aufgedeckt wird, bevor er ihn aufdecken kann, und er daraufhin als Fälscher gebrandmarkt wird? Er ist ruiniert und wird vielleicht sogar angeklagt. Aus diesem Grund treffen Leute, die der Fachwelt einen Streich spielen wollen, häufig Vorkehrungen. Sie könnten zum Beispiel eine verlässliche dritte Partei in ihr Vorhaben einweihen, mit der Bitte, die Wahrheit an einem festgelegten Tag zu enthüllen. Oder sie könnten verräterische Hinweise in ihr Werk streuen. Irgendeinen Anachronismus, wie der römische Soldat in einem Film, der eine Armbanduhr trägt. Natürlich würde man nicht so offensichtlich vorgehen. Aber Sie wissen, was ich meine.»
Augustin nickte. «Wenn also jemand eine Fälschung unters Volk bringen will und Angst hat, erwischt zu werden, könnte erzur Sicherheit ein paar solcher Hinweise einfügen, damit er sein Werk als gescheiterten Streich abtun kann, sollten die Fachleute sauer sein?»
«Richtig. Und genau das ist es, was Morton Smith getan hat. Er hat zum Beispiel eine Metapher über Salz benutzt, die nur mit modernem Salz Sinn ergibt, nicht aber mit den groben Kristallen aus der Zeit von Clemens. Und schließlich ist Morton wahrscheinlich die bekannteste Salzmarke der Welt.»
«Das klingt ziemlich dürftig.»
«Ja, aber denken Sie daran, dass er nicht entdeckt werden wollte. Er wollte nur ein Alibi für den Fall, dass man ihm auf die Schliche kam.»
«Und trat der Fall ein?»
Kostas zuckte mit den Achseln. «Die meisten Wissenschaftler haben den Brief sofort als Fälschung erkannt,
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