Die Jagd beginnt
Jahren. Als der Hundertjährige Krieg beendet war, konnte man endlos weit durch ein Land zum anderen reiten; von der Fäule bis zum Meer der Stürme. Jetzt können wir beinahe dieselbe Strecke ständig durch eine Wildnis reiten, die von keinem Land beansprucht wird. Wir in den Grenzlanden werden durch die Notwendigkeit des ständigen Kampfes gegen die Fäule gestärkt und geeint. Vielleicht fehlte diesen Ländern hier die notwendige Herausforderung, um sie stark zu erhalten. Ihr sagtet, sie versagten, Erbauer? Ja, sie versagten, und welche Nation, die heute stolz und mächtig dasteht, wird morgen vielleicht ebenfalls versagen? Wir Menschen werden weggeschwemmt. Weggeschwemmt wie Treibholz in einer Flut. Wie lange noch, bis nur noch die Grenzlande übrig sind? Wie lange noch, bis auch wir untergehen und nichts übrig bleibt, als Trollocs und Myrddraal bis hinunter zum Meer der Stürme?«
Erschrockenes Schweigen folgte seinen Worten. Nicht einmal Mat sagte etwas. Ingtar ritt gedankenverloren weiter.
Nach einer Weile kamen die Kundschafter zurückgaloppiert und berichteten, aufrecht sitzend und mit erhobenen Lanzen: »Vor uns liegt ein Dorf, Lord Ingtar. Man hat uns nicht gesehen, aber es liegt direkt auf unserem Weg.«
Ingtar schüttelte die trüben Gedanken ab, sagte aber nichts, bis sie den Kamm eines niedrigen Hügels erreicht hatten und auf das Dorf hinunterblickten. Auch dann befahl er lediglich anzuhalten, während er aus seiner Satteltasche ein Fernrohr herausholte und es an die Augen hob, um das Dorf zu betrachten. Rand betrachtete ebenfalls interessiert das Dorf. Es war so groß wie Emondsfelde, obwohl das natürlich nicht gerade groß war, wenn man es mit einigen der Ortschaften verglich, die er seit seinem Aufbruch von den Zwei Flüssen gesehen hatte, ganz zu schweigen von den großen Städten. Die Häuser waren niedrig und mit weißem Kalk verputzt, und es schien, als wachse auf ihren Giebeldächern Gras. Ein Dutzend Windmühlen lagen über das ganze Dorf verstreut. Ihre langen, stoffbespannten Flügel drehten sich träge und leuchteten weiß im Sonnenschein. Ein niedriger Wall umgab das Dorf. Er war brusthoch und grasbewachsen. Davor befand sich ein breiter Graben mit zugespitzten Stöcken, die man dicht beieinander in den Boden gerammt hatte. Die einzige Öffnung, die er in dem Wall entdecken konnte, besaß keine Torflügel, doch er nahm an, sie könne ziemlich leicht mit einem Karren blockiert werden. Er konnte nirgends Menschen entdecken.
»Nicht mal ein Hund ist zu sehen«, sagte Ingtar und steckte das Fernrohr zurück in die Satteltasche. »Seid Ihr sicher, dass sie Euch nicht entdeckt haben?«, fragte er die Kundschafter.
»Höchstens wenn sie das Glück des Dunklen Königs auf ihrer Seite haben, Lord Ingtar«, sagte der eine der Männer. »Wir sind noch nicht einmal auf diesen Hügelkamm gestiegen. Und wir haben auch keinerlei Bewegung im Dorf gesehen, Lord Ingtar.«
Ingtar nickte. »Die Spur, Hurin?«
Hurin holte tief Luft. »Zum Dorf hin, Lord Ingtar. Geradewegs darauf zu, soweit ich das von hier aus beurteilen kann.«
»Passt gut auf«, befahl Ingtar und straffte die Zügel.
»Und glaubt nicht, sie seien freundlich gesinnt, nur weil sie lächeln. Falls sich irgendjemand dort aufhält.« Er führte sie in langsamem Schrittempo auf das Dorf zu und hob die Hand zum Rücken, um sein Schwert in der Scheide zu lockern.
Rand hörte an den Geräuschen hinter ihm, dass die anderen es ihm gleichtaten. Nach einem Augenblick lockerte auch er sein Schwert in der Scheide. Sich zu bemühen, am Leben zu bleiben, war etwas ganz anderes als sich zu bemühen, ein Held zu sein, stellte er fest.
»Glaubt Ihr, diese Leute würden Schattenfreunden helfen?«, fragte Perrin Ingtar. Der Shienarer nahm sich Zeit für seine Antwort. »Sie haben nicht viel für Shienarer übrig«, sagte er schließlich. »Sie sind der Meinung, wir hätten sie zu beschützen. Wir oder die Cairhiener. Cairhien beanspruchte dieses Land für sich, als der letzte König von Hardan starb. Sie beanspruchten das ganze Land bis zum Erinin für sich. Aber sie konnten es nicht halten. Sie gaben es vor beinahe hundert Jahren auf. Die wenigen Menschen, die hier noch leben, müssen sich kaum den Kopf über Trollocs zerbrechen – so weit im Süden –, aber es gibt eine Menge Banditen. Deshalb haben sie den Wall und den Graben angelegt. So was haben alle Dörfer hier. Ihre Felder liegen bestimmt in den Senken hier herum verborgen, und es wohnt
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