Die Jagd beginnt
lediglich kurz zu. Sie schien ihre ganze Zeit damit zu verbringen, mit den anderen Aes Sedai zu sprechen, außer mit den Roten Schwestern. Sie zog ihre Gesprächspartnerinnen beim Reiten eine nach der anderen zur Seite. Die Amyrlin gestattete ihnen nur wenige Aufenthalte, um sich auszuruhen, und die waren ebenfalls sehr kurz bemessen.
»Vielleicht hat sie jetzt für uns keine Zeit mehr«, meinte Egwene traurig. Moiraine war die einzige Aes Sedai, die sie kannte. Vielleicht war sie auch – obwohl es ihr nicht leicht fiel, dies zuzugeben – die einzige, der sie trauen konnte. »Sie hat uns gefunden, und wir sind auf dem Weg nach Tar Valon. Ich denke, jetzt hat sie andere Dinge im Kopf.«
Nynaeve schnaubte leise. »Ich glaube erst dann daran, dass sie mit uns fertig ist, wenn sie tot ist – oder wenn wir tot sind. Sie ist eine hinterlistige Frau.«
Andere Aes Sedai besuchten ihr Zelt. Egwene fuhr bald aus der Haut, als in ihrer ersten Nacht außerhalb Fal Daras die Zeltklappe beiseite geschoben wurde und eine mollige Aes Sedai mit kantigem Gesicht, ergrautem Haar und einem abwesenden Blick geduckt das Zelt betrat. Sie blickte zu der Laterne, die am höchsten Punkt des Zelts hing, und die Flamme wuchs ein wenig empor. Egwene glaubte, etwas zu fühlen, glaubte, etwas um die Aes Sedai herum zu sehen, als die Flamme heller strahlte. Moiraine hatte ihr gesagt, dass sie eines Tages – wenn sie genug Übung darin hatte – sehen könne, wenn eine andere Frau die Eine Macht benutzte, und eine solche Frau auch erkennen werde, wenn sie gar nichts tat.
»Ich heiße Verin Mathwin«, sagte die Frau lächelnd. »Und ihr seid Egwene al’Vere und Nynaeve al’Meara von den Zwei Flüssen, die einst Manetheren waren. Das ist ein starkes Blut. Es singt.«
Egwene tauschte einen Blick mit Nynaeve, als sie aufstanden.
»Sollt Ihr uns zur Amyrlin bestellen?«, fragte Egwene.
Verin lachte. Die Aes Sedai hatte einen Tintenfleck auf der Nase. »Ach je, nein, natürlich nicht. Die Amyrlin hat wichtigere Dinge zu tun, als sich mit zwei jungen Frauen zu beschäftigen, die noch nicht einmal Novizinnen sind. Obwohl, man kann das nie vorhersagen. Ihr beide verfügt über ein beachtliches Potenzial, besonders Ihr, Nynaeve. Eines Tages …« Sie schwieg und rieb mit einem Finger genau auf dem Tintenfleck herum. »Aber jetzt ist nicht eines Tages. Ich bin gekommen, um Euch eine Lektion zu erteilen, Egwene. Ihr habt Eure Nase etwas zu früh in manche Dinge gesteckt, fürchte ich.«
Egwene sah Nynaeve nervös an. »Was habe ich getan? Ich bin mir keiner Schuld bewusst.«
»Oh, es war nichts Schlimmes. Jedenfalls nicht unmittelbar. Vielleicht ein bisschen gefährlich, aber nicht schlimm.« Verin ließ sich auf dem mit Segeltuch bedeckten Boden im Schneidersitz nieder. »Setzt euch hin, ihr beiden. Ich will mir nicht den Kopf verrenken.« Sie rutschte herum, bis sie eine bequeme Stellung gefunden hatte. »Setzt Euch.«
Egwene setzte sich mit übergeschlagenen Beinen der Aes Sedai gegenüber auf den Boden und gab sich Mühe, Nynaeve nicht anzusehen. Kein Grund, schuldbewusst dreinzuschauen, bevor ich überhaupt weiß, woran ich schuld sein soll. »Was soll ich getan haben, das gefährlich, aber nicht so schlimm ist?«
»Ja, Kind, Ihr habt die Eine Macht benutzt.«
Egwene konnte nur nach Luft schnappen. Nynaeve platzte heraus: »Das ist lächerlich. Deshalb gehen wir doch schließlich nach Tar Valon.«
»Moiraine hat … Also, nun ja, Moiraine Sedai hat mich unterrichtet«, brachte Egwene hervor.
Verin hob die Hände, um sie zum Schweigen zu bringen, und die beiden hielten den Mund. Sie mochte ihnen wohl etwas eigenartig vorkommen, aber sie war immerhin eine Aes Sedai. »Kind, glaubt Ihr, eine Aes Sedai unterrichtet sofort jedes Mädchen, das sagt, sie wolle eine von uns werden, im Gebrauch der Macht? Ja, ich denke schon, dass Ihr nicht irgendein Mädchen seid, aber trotzdem …« Sie schüttelte ernst den Kopf.
»Warum hat sie es dann getan?«, wollte Nynaeve wissen. Sie war nicht eingeweiht worden, und Egwene war sich nicht sicher, ob Nynaeve deshalb eifersüchtig war oder nicht.
»Weil Egwene die Macht bereits benutzt hatte«, sagte Verin geduldig.
»Das … das habe ich auch getan.« Nynaeve klang, als sei sie nicht gerade froh darüber.
»Aber unter ganz anderen Umständen, Kind. Dass Ihr noch am Leben seid, zeigt ja, dass Ihr mit allen Widrigkeiten fertig wurdet, und zwar ohne fremde Hilfe. Ich glaube, Ihr wisst, wie viel Glück
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