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Die Jagd beginnt

Die Jagd beginnt

Titel: Die Jagd beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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Fähigkeiten sind stark, Kind, und sie werden immer stärker. Ihr müsst lernen, sie zu beherrschen, bevor Ihr Euch selbst oder anderen Schaden zufügt. Das wollte Moiraine Euch beibringen. Dabei will ich Euch heute Abend helfen, und jeden Abend wird eine Schwester kommen, um Euch zu helfen, bis wir Euch der tüchtigen Sheriam übergeben. Sie ist die Herrin der Novizinnen.«
    Egwene überlegte. Könnte sie von Rand wissen? Das ist doch nicht möglich. Sie hätte ihn niemals aus Fal Dara gehen lassen, wenn sie auch nur einen Verdacht gehabt hätte. Aber sie war sicher, dass sie sich Verins Blick nicht eingebildet hatte. »Ich danke Euch, Verin Sedai. Ich werde mein Bestes geben.«
    Nynaeve erhob sich graziös. »Ich werde mich drüben ans Feuer setzen und euch beide allein lassen.«
    »Ihr solltet bleiben«, sagte Verin. »Ihr habt vielleicht auch etwas davon. Demzufolge, was Moiraine mir erzählt hat, braucht Ihr nur ein wenig Schulung, um zu den Aufgenommenen erhoben zu werden.«
    Nynaeve zögerte nur einen Augenblick und schüttelte dann entschlossen den Kopf. »Ich danke Euch für das Angebot, aber ich kann warten, bis wir Tar Valon erreichen. Egwene, falls du mich brauchst, bin ich …«
    »Mit normalem Maß gemessen«, warf Verin ein, »seid Ihr eine erwachsene Frau, Nynaeve. Gewöhnlich ist eine Novizin umso besser, je jünger sie ist. Das betrifft nicht die Schulung an sich, aber von einer Novizin wird erwartet, dass sie tut, was man ihr sagt, und zwar ohne Widerspruch. Das bewährt sich dann, wenn die Schulung einen bestimmten Punkt erreicht hat – ein Zögern zur falschen Zeit, ein Zweifel können tragische Folgen haben –, aber es ist besser, immer die Disziplin vornanzustellen. Andererseits erwartet man von den Aufgenommenen, dass sie die Dinge infrage stellen, denn man glaubt, sie wüssten genug, um zur rechten Zeit die rechten Fragen zu stellen. Welche von beiden Möglichkeiten würdet Ihr vorziehen?«
    Nynaeves Hände verkrampften sich in ihren Rock, und sie blickte mit gerunzelter Stirn zur Zeltklappe hinüber. Schließlich nickte sie kurz und ließ sich wieder auf dem Boden nieder. »Ich denke, ich kann genauso gut auch ein wenig zuhören«, sagte sie.
    »Gut«, sagte Verin. »Also, Ihr kennt diesen Teil bereits, Egwene, aber Nynaeve zuliebe werde ich Euch noch einmal Schritt für Schritt anleiten. Mit der Zeit wird Euch das zur zweiten Natur – Ihr werdet alles schneller tun, als Ihr es Euch vorstellen könnt –, doch jetzt ist es am besten, wir schreiten langsam vorwärts. Schließt bitte die Augen. Am Anfang ist es besser, wenn Ihr Euch von nichts ablenken lasst.« Egwene schloss die Augen. Es gab eine Unterbrechung. »Nynaeve«, sagte Verin, »bitte schließt die Augen. Es gelingt dann wirklich besser.« Eine weitere Pause folgte. »Danke, Kind. Jetzt müsst ihr euch innerlich leer machen. Leert eure Gedanken. In eurem Verstand befindet sich nur noch eines: eine Knospe. Nur dies. Nur die Knospe. Ihr erkennt jede Einzelheit. Ihr riecht sie. Ihr fühlt sie. Ihr fühlt die Rippe jedes einzelnen Blatts, jede Krümmung der Blütenblätter. Ihr fühlt den Saft darin pulsieren. Fühlt! Wisst! Seid die Knospe! Ihr und die Knospe seid eins. Ihr seid eins. Ihr seid die Knospe.«
    Ihre Stimme leierte hypnotisch weiter, doch Egwene hörte nicht mehr hin. Sie hatte diese Übung schon früher mit Moiraine durchgeführt. Sie dauerte eine Weile, aber Moiraine hatte gesagt, es werde mit der fortschreitenden Übung immer schneller gelingen. In ihrem Inneren war sie eine Rosenknospe mit fest geschlossenen Blütenblättern. Und doch gab es da plötzlich noch etwas anderes. Licht. Licht drückte auf die Blütenblätter. Langsam öffnete sich die Knospe und wandte sich dem Licht zu, nahm es in sich auf. Die Rose und das Licht wurden eins. Egwene war eins mit dem Licht. Sie spürte auch das leichteste Rieseln des Lichts in ihr. Sie streckte sich noch mehr aus und griff danach …
    Innerhalb eines Augenblicks war alles weg – Rose und Licht. Moiraine hatte auch gesagt, man könne es nicht erzwingen. Seufzend öffnete sie die Augen. Nynaeve trug einen zornigen Gesichtsausdruck zur Schau. Verin war genauso ruhig wie immer.
    »Ihr könnt es nicht erzwingen«, sagte die Aes Sedai. »Ihr müsst es geschehen lassen . Ihr müsst euch der Macht ergeben, bevor ihr sie beherrschen könnt.«
    »Das ist doch idiotisch«, murmelte Nynaeve. »Ich fühle mich nicht wie eine Blume. Wenn überhaupt, dann wie ein Schlehenstrauch.

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