Die Jagd beginnt
gerunzelte Stirn nicht bemerkt. »Und Ihr seid unsere neue Novizin. Es ist immer gut, wenn eine neue kommt. Heutzutage haben wir viel zu wenige. Mit Euch sind es vierzig. Nur vierzig. Und nicht mehr als acht oder neun von Euch werden zu den Aufgenommenen erhoben. Ich glaube aber nicht, dass Ihr Euch darüber Gedanken machen müsst, solange Ihr hart arbeitet und Nützliches leistet. Die Arbeit ist schwer, und auch für jemanden mit Eurem Talent wird sie nicht leichter. Falls Ihr das nicht durchhaltet, ganz gleich, wie schwer es ist, oder falls Ihr unter der Belastung zusammenbrecht, sollten wir das am besten gleich herausfinden und Euch Eurer Wege ziehen lassen und nicht erst warten, bis Ihr eine volle Schwester seid und andere sich auf Euch verlassen. Das Leben einer Aes Sedai ist nicht einfach. Hier werden wir Euch darauf vorbereiten, wenn Ihr das Notwendige in Euch tragt.«
Egwene schluckte. Unter der Belastung zusammenbrechen? »Ich werde es versuchen, Sheriam Sedai«, sagte sie matt. Und ich werde nicht zusammenbrechen.
Nynaeve sah sie besorgt an. »Sheriam …« Sie hielt inne und holte tief Luft. »Sheriam Sedai …« – sie brachte den Titel kaum über die Lippen –, »… muss es denn für sie so schlimm kommen? Fleisch und Blut können eben nur so viel ertragen und nicht mehr. Ich weiß … ein bisschen von dem … was die Novizinnen durchmachen müssen. Sicher wird es doch nicht notwendig sein, sie zu zerbrechen, um festzustellen, wie stark sie ist.«
»Ihr meint, was die Amyrlin heute mit Euch angestellt hat?« Nynaeves Rücken versteifte sich. Sheriam machte den Eindruck, als bemühe sie sich krampfhaft, ernst zu bleiben. »Ich habe Euch ja gesagt, dass ich mit der Amyrlin gesprochen habe. Macht Euch keine Sorgen um Eure Freundin. Die Übungen der Novizinnen sind schwer, aber nicht so schwer. Was Ihr erlebt habt, war für die ersten Wochen einer Aufgenommenen gedacht.« Nynaeve stand mit offenem Mund da; Egwene glaubte, ihr würden gleich die Augen aus dem Kopf fallen. »Man muss die wenigen erwischen, die sich unberechtigterweise als Novizinnen gerade so durchgemogelt haben. Wir können nicht riskieren, dass eine von uns – eine volle Aes Sedai – unter der Belastung der Welt dort draußen zusammenbricht.« Die Aes Sedai nahm die beiden aufmunternd in die Arme, um sie wegzuführen. Nynaeve schien gar nicht zu bemerken, wohin sie ging. »Kommt«, sagte Sheriam, »ich werde Euch zu Euren Zimmern bringen. Die Weiße Burg erwartet Euch.«
KAPITEL 19
Unter dem Dolch
D ie Nacht am Abhang von Brudermörders Dolch war kalt, so wie es die Nächte im Gebirge für gewöhnlich immer waren. Der Wind peitschte von den Gipfeln herunter und trug die Eiseskälte der Gletscher mit sich.
Rand wälzte sich auf dem harten Boden herum, zupfte an Umhang und Decke und konnte nicht richtig schlafen. Seine Hand suchte nach dem Schwert, das neben ihm lag. Noch ein Tag, dachte er schläfrig. Noch ein weiterer Tag, und dann geben wir auf. Wenn morgen niemand kommt, weder Ingtar noch die Schattenfreunde, dann bringe ich Selene nach Cairhien.
Das hatte er sich auch schon vorher vorgenommen. An jedem Tag, den sie hier am Berghang verbracht und den Ort beobachtet hatten, an dem Hurin die Spur verloren hatte, sagte er sich, es sei Zeit zum Aufgeben. Selene hatte behauptet, in dieser Welt würden die Schattenfreunde mit Sicherheit auftauchen. Und sie sprach vom Horn von Valere, berührte seinen Arm, sah ihm in die Augen, und bevor er wusste, was er tat, hatte er bereits zugestimmt, einen weiteren Tag hier zu warten.
Er machte sich ganz klein, um dem kalten Wind keine Angriffsfläche zu bieten, und dachte daran, wie Selene seinen Arm berührte und ihm in die Augen sah. Wenn Egwene das sehen könnte, würde sie mich zusammenstauchen wie einen Schuljungen – und Selene womöglich auch. Mittlerweile könnte Egwene in Tar Valon sein und sich darauf vorbereiten, eine Aes Sedai zu werden. Wenn sie mich das nächste Mal sieht, wird sie vielleicht versuchen, mich niederzumachen.
Als er sich wieder herumwälzte, glitt seine Hand am Schwert vorbei und berührte das Bündel mit Thom Merrilins Laute und Flöte. Unbewusst verkrampften sich seine Finger in den Umhang des Gauklers. Damals war ich glücklich, selbst als ich um mein Leben rennen musste. Flöte spielen und damit mein Abendessen verdienen. Ich wusste einfach nicht, was wirklich geschah. Nun gibt es kein Zurück mehr.
Zitternd öffnete er die Augen. Der einzige
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