Die Jagd beginnt
sind hinter uns her.«
»Warum überrascht mich das wohl nicht? Nein. Ich mag ja ein alter Narr sein, aber ich bin es auf meine eigene Art. Der Ruhm gebührt dir, mein Junge.«
»Thom …«
»Nein!«
Dann herrschte Schweigen, das nur vom Knarren des Betts unter Loials Gewicht durchbrochen wurde. Schließlich sagte Rand: »Loial, würdest du bitte Thom und mich ein wenig allein lassen? Bitte!«
Loial blickte überrascht drein – die Haarbüschel an seinen Ohren sträubten sich –, aber er nickte und erhob sich. »Dieses Würfelspiel im Schankraum sah interessant aus. Vielleicht lassen sie mich mitspielen.« Thom sah Rand misstrauisch an, als sich die Tür hinter dem Ogier schloss.
Rand zögerte. Es gab Dinge, über die er unbedingt Bescheid wissen musste und bei denen er sicher war, dass Thom das nötige Wissen besaß – der Gaukler verstand offenbar eine ganze Menge von überraschend vielen Dingen –, doch er wusste nicht, wie er beginnen sollte. »Thom«, sagte er schließlich, »gibt es irgendwelche Bücher, die den Karaethon-Zyklus enthalten?« Er hatte ein besseres Gefühl dabei, diesen Titel zu nennen, anstatt ›Die Prophezeiungen des Drachen‹.
»In den großen Bibliotheken«, sagte Thom bedächtig. »Jede beliebige Anzahl von Übersetzungen, und hier und da findet man ihn sogar in der Alten Sprache.« Rand wollte schon fragen, ob er irgendwo ein solches Buch auftreiben könne, aber der Gaukler fuhr fort: »In der Alten Sprache liegt Musik, doch selbst zu viele der Adligen heutzutage haben nicht die Geduld, sie herauszuhören. Man erwartet von den Adligen, dass sie die Alte Sprache beherrschen, aber die meisten lernen gerade genug, um jene zu beeindrucken, die sie nicht verstehen. Übersetzungen klingen nicht so gut, außer solchen in Form des Hochgesangs, und da ändert sich manchmal die Bedeutung noch stärker als in den meisten Übersetzungen. Es gibt einen Vers im Zyklus – es klingt vielleicht nicht besonders gut, wenn man es wörtlich übersetzt, aber die Bedeutung stimmt wenigstens –, der lautet so:
Zweimal und wieder zweimal wird er hervorgehoben,
zwei Leben und zwei Tode vorgezeichnet.
Einmal bestimmt der Reiher seinen Weg.
Zum zweiten kennzeichnet der Reiher ihn als den Wahren.
Einmal steht der Drache für die verlorene Erinnerung.
Noch einmal steht der Drache für den Preis, den er zu zahlen hat.«
Er streckte die Hand aus und berührte die auf Rands Mantelkragen gestickten Reiher.
Einen Augenblick lang konnte Rand ihn nur mit offenem Mund anstarren, und als er etwas herausbrachte, schwankte seine Stimme. »Mit dem Schwert sind es fünf. Knauf, Scheide und Klinge.« Er legte die Hand mit der Innenfläche nach unten auf den Tisch, damit man das Brandzeichen nicht sehen konnte. Zum ersten Mal, seit Selenes Salbe die Wunde geheilt hatte, spürte er Schmerzen in der Hand. Es tat nicht sehr weh, aber er wusste, dass es vorhanden war.
»Tatsächlich?« Thom lachte hart auf. »Ein anderer Vers kommt mir dabei ins Gedächtnis.
Zweimal dämmert der Tag heran, an dem sein Blut vergossen wird:
einmal ist es ein Tag der Trauer; einmal feiert man seine Geburt.
Rot auf Schwarz, so klebt des Drachen Blut am Fels von Shayol Ghul
und im Abgrund des Verderbens wird sein Blut die Menschen vom Schatten befreien.«
Rand schüttelte den Kopf, aber Thom schien es gar nicht zu bemerken. »Ich weiß zwar nicht, wie ein Tag zweimal herandämmern kann, aber es ist ja wohl sowieso eine ganze Menge dabei, was keinen rechten Sinn ergibt. Der Stein von Tear wird nicht fallen, bis Callandor in der Hand des Wiedergeborenen Drachen ist, aber ›Das Schwert, das man nicht berühren kann‹, liegt mitten in dieser Burg – also wie kann er es dann in der Hand halten? Na ja, sei es, wie es mag. Ich denke, die Aes Sedai werden es so zu steuern versuchen, dass sich alles so genau wie möglich gemäß den Prophezeiungen abspielt. Irgendwo im Versengten Land zu sterben wäre schon ein hoher Preis dafür, mit ihnen zusammenzuarbeiten.«
Es kostete Rand Mühe, seine Stimme ruhig klingen zu lassen, aber er schaffte es. »Keine Aes Sedai wird mich für irgendetwas benützen. Ich habe Euch ja gesagt: Ich habe Moiraine zum letzten Mal in Shienar gesehen. Sie sagte, ich könne gehen, wohin ich wolle, und ich ging.«
»Und du hast jetzt überhaupt keine Aes Sedai dabei? Wirklich keine?«
»Keine.«
Thom fuhr sich über die weißen, herunterhängenden Schnurrbartenden. Er schien zufrieden und gleichzeitig
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