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Die Jagd beginnt

Die Jagd beginnt

Titel: Die Jagd beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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der nicht von Soldaten bewacht wurde. Er beugte sich in eine Mauerlücke und spähte hinunter, vorbei an den Schlitzen im Stein, in die man Baukräne einklemmen konnte, und in den Burggraben weit darunter. Zwanzig Schritte breit war er und zehn tief und mit glatt geschliffenen, rutschigen Steinen eingefasst. Eine niedrige, abgeschrägte Mauer, die kein Versteck zuließ, umgab ihn, damit niemand aus Versehen hineinfallen konnte, und an seinem Grund befand sich ein Wald von rasiermesserscharfen Dornen. Selbst mit einem Seil zum Herunterklettern und ohne von den Wachen entdeckt zu werden, konnte er diese Kluft nicht überqueren. Was dazu diente, im Ernstfall Trollocs von der Festung fern zu halten, diente genauso gut dazu, ihn darin festzuhalten.
    Plötzlich fühlte er sich vollkommen erschöpft. Die Amyrlin befand sich hier, und es gab keinen Weg hinaus. Kein Fluchtweg und die Amyrlin vor der Nase! Falls sie wusste, dass er hier war, falls sie den Wind gesandt hatte, der ihn auf dem Turm ergriff, dann jagte sie ihn bereits und jagte mit der Macht einer Aes Sedai. Ein Kaninchen hätte eine bessere Chance gegen einen Bogen. Aber er weigerte sich, so schnell aufzugeben. Es gab Leute, die behaupteten, die Menschen von den Zwei Flüssen könnten Steinen noch etwas beibringen und Maultieren zum Vorbild gereichen. Wenn nichts sonst mehr übrig blieb, hielten sich die Menschen der Zwei Flüsse eben an ihr Durchhaltevermögen.
    Er verließ die Mauer und wanderte durch die Festung. Er achtete nicht darauf, wohin er sich wandte, solange es nur in keine Richtung ging, in der man ihn erwarten konnte. Nicht in die Nähe seines Zimmers oder der Ställe oder eines Tores – Masema könnte ja riskiert haben, von Uno gescholten zu werden, indem er darüber berichtete, dass er versucht hatte, die Festung zu verlassen – oder eines Gartens. Alles, woran er denken konnte, war, sich von jeder Aes Sedai fern zu halten. Selbst von Moiraine. Sie wusste alles über ihn. Trotzdem hatte sie nichts gegen ihn unternommen. Bis jetzt. Soweit du weißt. Was ist, wenn sie ihre Meinung ändert? Vielleicht hat sie die Amyrlin herkommen lassen.
    Einen Augenblick lang fühlte er sich so verloren, dass er sich gegen die Wand eines Korridors lehnte, die Schultern an den harten Stein gepresst. Mit leeren Augen starrte er ins Nichts und sah Dinge, die er nicht sehen wollte. Eine Dämpfung. Wäre es denn so schlimm, wenn alles vorbei wäre? Wirklich vorbei? Er schloss die Augen, aber auch dann sah er sich noch selbst, wie er sich wie ein Kaninchen in eine Ecke kauerte, während die Aes Sedai sich wie Raben um ihn scharten. Sie sterben meist kurze Zeit danach, die Männer, die eine Dämpfung erfuhren. Sie wollen nicht mehr leben. Er erinnerte sich nur zu gut an Thom Merrilins Worte, um sich dem zu stellen. Nach einem kurzen Schütteln eilte er den Gang hinunter. Nicht gut, sich an einem Ort aufzuhalten, bis man ihn fand. Wie lange noch, bis sie dich sowieso finden? Du bist wie ein Schaf im Pferch. Wie lange? Er berührte die Scheide des Schwerts an seiner Seite. Nein, kein Schaf. Nicht für die Aes Sedai oder sonst jemand. Er fühlte sich zwar ein bisschen töricht, aber entschlossen.
    Die Menschen kehrten zu ihren Beschäftigungen zurück. Der Lärm von Stimmen und klappernden Töpfen erfüllte die Küche, die dem Großen Saal am nächsten lag, in dem die Amyrlin und ihre Begleiter heute Abend speisen würden. Köche und Mägde und Küchenjungen rannten beinahe bei der Arbeit. Die Spießhunde zockelten mit ihren Korbrädern herein, um das aufgespießte Fleisch ständig zu drehen. Er bahnte sich schnell einen Weg durch Hitze und Dampf und durch die Gerüche der Speisen und Gewürze. Keiner warf ihm mehr als einen flüchtigen Blick zu; sie alle waren zu sehr beschäftigt.
    In den hinteren Korridoren, an denen die Diener in kleinen Wohnungen lebten, wimmelte es wie in einem Ameisenhaufen. Männer und Frauen wuselten durcheinander, um ihre besten Uniformen anzulegen. Kinder spielten in den Ecken und gingen den Erwachsenen damit aus dem Weg. Die Jungen schwenkten Holzschwerter, und die Mädchen spielten mit geschnitzten Puppen. Einige behaupteten, ihre Puppe sei die Amyrlin. Die meisten Türen standen offen, und der Blick in die Zimmer wurde lediglich durch Perlenvorhänge versperrt. Normalerweise bedeutete das, dass diejenigen, die hier wohnten, Besucher erwarteten, aber heute kam es einfach daher, dass sie keine Zeit hatten, auch nur die Türen zu schließen.

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