Die Jagd beginnt
junge Mann im zerbeulten, doch reich verzierten Brustpanzer sah immer wieder ängstlich Muadhs entstelltes Gesicht an. Bornhald zog sein Messer und fing an, sich die Fingernägel zu schneiden. Er hatte noch nie verstanden, warum das einige Männer nervös machte, aber er benützte dieses Mittel trotzdem. Selbst sein großväterliches Lächeln ließ das schmutzige Gesicht des Gefangenen erbleichen. »Nun, junger Mann, Ihr werdet uns jetzt alles erzählen, was Ihr über diese Fremden wisst, ja? Falls Ihr erst darüber nachdenken müsst, was Ihr sagen sollt, schicke ich Euch mit Kind Muadh hinaus, damit Ihr Muße zum Nachdenken habt.«
Der Gefangene warf Muadh einen Blick aus weit aufgerissenen Augen zu. Dann sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus.
Die Gischt ritt die lange Dünung des Aryth-Meers aus, aber Domons gespreizte Beine hielten ihn im Gleichgewicht, während er den langen Zylinder des Fernrohrs ans Auge hielt und das große Schiff betrachtete, das sie verfolgte. Verfolgte und sie ganz langsam überholte. Der Wind, unter dem die Gischt kreuzte, war weder der günstigste noch der stärkste, aber er hätte für das andere Schiff nicht günstiger sein können, das mit seinem breiten Bug die langen Wellen zu Bergen von Gischt zerschlug. Im Osten ragte die Küste der Toman-Halbinsel auf – dunkle Klippen und schmale Sandstreifen. Er hatte die Gischt nicht so weit hinausbringen wollen, doch nun fürchtete er, diese Vorsichtsmaßnahme teuer bezahlen zu müssen.
»Fremde, Käpten?« Yarins Stimme klang nach Schweiß. »Ist es ein Schiff der Fremden?«
Domon senkte das Fernrohr, aber das große, irgendwie viereckig wirkende Schiff mit den eigenartig gerippten Segeln schien immer noch sein Gesichtsfeld zu füllen. »Seanchaner«, sagte er und hörte, wie Yarin aufstöhnte. Er trommelte mit den Fingern auf die Reling und sagte dem Rudergänger dann: »Halte näher auf die Küste zu. Dieses Schiff nicht wagen wird, seichtes Wasser zu befahren, wie es die Gischt kann.«
Yarin gab Kommandos aus, und Seeleute rannten und holten Mastbäume ein, während der Rudergänger die Pinne herumzog und den Bug auf die Küste richtete. Die Gischt kam nun langsamer vorwärts, da sie fast direkt in den Wind hineinlief, aber Domon war sicher, er könne die Untiefen vor der Küste erreichen, bevor sie von dem anderen Schiff eingeholt würden. Auch wenn Laderäume voll sein, sie doch können befahren seichteres Wasser als dieser große Rumpf. Sein Schiff lag ein wenig höher im Wasser als bei ihrem Ablegen in Tanchico. Ein Drittel der Ladung an Feuerwerkskörpern, die er dort genommen hatte, war weg – in den Fischerdörfern auf der Toman-Halbinsel verkauft. Aber mit dem dafür erhaltenen Silber waren auch beunruhigende Nachrichten eingetroffen. Die Leute erzählten von Besuchern aus den großen, kastenförmigen Schiffen der Invasoren. Wenn Schiffe der Seanchaner vor der Küste ankerten und die Dorfbewohner sich sammelten, um ihre Heimat zu verteidigen, wurden sie von Blitzen aus heiterem Himmel zerfetzt. Kleine Boote brachten die Invasoren an Land, und der Erdboden explodierte unter den Füßen der Verteidiger. Domon hatte geglaubt, man wolle ihm einen Bären aufbinden, aber dann hatten sie ihm den geschwärzten Boden gezeigt, und das in so vielen Dörfern, dass er die Geschichten nicht mehr anzweifelte. Neben den Soldaten der Seanchaner kämpften Ungeheuer. Nicht, dass es überhaupt noch viel Widerstand gab, sagten die Dorfbewohner. Manche behaupteten sogar, die Seanchaner selbst seien Monster mit großen Insektenköpfen.
In Tanchico hatte niemand auch nur gewusst, wie sie sich nannten, und die Bewohner Tarabons hatten zuversichtlich davon gesprochen, dass ihre Truppen die Invasoren ins Meer zurücktreiben würden. Aber es war in jeder Küstenstadt anders. Die Seanchaner sagten den erstaunten Leuten, sie müssten Eide erneut schwören, die sie vor langer Zeit gebrochen hätten, erklärten aber nicht, wann sie sie gebrochen oder was sie überhaupt bedeutet hatten. Eine junge Frau nach der anderen wurde weggebracht und untersucht, und manche davon wurden an Bord der Schiffe gebracht und nicht mehr gesehen. Auch ein paar ältere Frauen waren verschwunden, meist Heilerinnen. Die Seanchaner wählten neue Bürgermeister und neue Dorfräte. Jeder, der gegen das Verschwinden der Frauen protestierte, kam zumindest nicht mehr für eines der Ämter infrage oder wurde möglicherweise gehängt oder brannte plötzlich bei lebendigem Leib
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