Die Jagd beginnt
Leben wegen der verschiedenen Möglichkeiten, wie die Dinge abgelaufen sein könnten.«
»Das ist es also? Ich … wir … sahen, wie unser Leben hätte verlaufen können?« Ich habe wieder gewonnen, Lews Therin. Nein! Ich bin Rand al’Thor! Verin schüttelte sich und sah ihn an. »Überrascht es Euch, dass Euer Leben anders ablaufen würde, wenn Ihr Euch anders entscheidet oder wenn andere Ereignisse Euch beeinflussen? Obwohl … ich habe auch niemals geglaubt, dass ich – ach! Das Wichtigste ist, dass wir hier sind. Wenn auch nicht auf die erhoffte Weise.«
»Wo sind wir hier?«, wollte er wissen. Die Wälder des Stedding Tsofu waren verschwunden und von einer Ebene abgelöst worden. Unweit von ihnen, im Westen, gab es Wälder und ein paar Hügel. Als sie sich im Stedding um den Stein versammelt hatten, hatte die Sonne hoch am Himmel gestanden, doch hier stand sie tief an einem grauen Nachmittagshimmel. Die wenigen Bäume in ihrer Nähe waren kahl oder wiesen gerade noch ein paar leuchtend bunte Blätter auf. Ein kalter Wind wehte böig vom Osten her und wirbelte Blätter vom Boden auf.
»Auf der Toman-Halbinsel«, sagte Verin. »Das ist der Stein, den ich schon einmal besuchte. Ihr hättet nicht versuchen sollen, uns direkt hierher zu bringen. Ich weiß nicht, was schief gegangen ist; das werde ich wohl auch nie erfahren, aber den Bäumen nach zu schließen würde ich sagen, dass es bereits Herbst ist. Rand, wir haben keine Zeit gewonnen, sondern verloren. Ich denke, wir haben bestimmt vier Monate gebraucht, um hierher zu gelangen.«
»Aber ich habe nicht …«
»Ihr müsst Euch in solchen Fragen von mir beraten lassen. Es ist wahr, ich kann Euch nicht unterrichten, aber vielleicht kann ich Euch wenigstens davon abhalten, Euch selbst umzubringen – und dazu noch uns andere –, indem Ihr zu viel der Macht auf einmal anwendet. Und selbst wenn Ihr Euch nicht umbringt, der Wiedergeborene Drache jedoch ausbrennt wie eine heruntergebrannte Kerze, na, wer wird dann dem Dunklen König gegenüberstehen?« Sie wartete nicht darauf, dass er protestierte, sondern ging stattdessen zu Ingtar hinüber.
Der Shienarer fuhr zusammen, als sie seinen Arm berührte. Er sah sie mit Verzweiflung im Blick an. »Ich wandle im Licht«, sagte er heiser. »Ich werde das Horn von Valere finden und die Macht von Shayol Ghul stürzen. Das werde ich!«
»Sicher werdet Ihr das«, sagte sie in beruhigendem Ton. Sie nahm sein Gesicht in die Hände, und er atmete schwer auf. Offensichtlich erholte er sich nun von dem, was ihn gelähmt hatte. Nur die Erinnerung daran lag immer noch in seinem Blick. »So«, sagte sie. »Das wird genügen. Ich muss sehen, wie ich den anderen helfe. Wir können das Horn noch immer zurückgewinnen, aber der Weg dahin ist nicht einfacher geworden.«
Während sie sich um die anderen kümmerte und bei jedem kurz innehielt, ging Rand zu seinen Freunden. Als er versuchte, Mat aufzurichten, zuckte dieser zusammen und starrte ihn an. Dann packte er Rands Mantel mit beiden Händen. »Rand, ich würde niemals jemandem davon erzählen – von dir, meine ich. Ich würde dich nicht verraten. Das musst du mir glauben!« Er sah schlechter aus als je zuvor, aber Rand schrieb das vor allem seiner offensichtlichen Furcht zu.
Rand fragte sich, welche Leben Mat gelebt und was er dabei getan hatte. Er muss es jemandem gesagt haben, sonst hätte er jetzt nicht so viel Angst. Er konnte es ihm nicht übel nehmen. Das waren andere Mats gewesen und nicht er selber. Außerdem, wenn er an die Möglichkeiten dachte, die er selbst erlebt hatte … »Ich glaube dir, Mat. Perrin?«
Der Jüngling mit dem lockigen Haar ließ mit einem Seufzer die Hände sinken. Rote Stellen an Stirn und Wangen zeigten, wo sich seine Fingernägel in die Haut gebohrt hatten. Seine gelben Augen verschleierten seine Gedanken. »Wir haben wirklich kaum eine Wahl, Rand, stimmt’s? Was auch geschieht, was wir auch tun, manche Dinge bleiben doch immer gleich.« Er atmete hörbar aus. »Wo sind wir? Ist das eine der Welten, von denen ihr gesprochen habt, Hurin und du?«
»Wir sind auf der Toman-Halbinsel«, teilte ihm Rand mit. »Auf unserer Welt. Das behauptet jedenfalls Verin. Und es ist Herbst.«
Mat sah bekümmert aus. »Wie konnten …? Nein, ich will gar nicht wissen, wie das geschah. Aber wie sollen wir nun Fain und den Dolch finden? Nach so langer Zeit kann er überall sein.«
»Er ist hier«, versicherte ihm Rand. Er konnte nur hoffen, Recht zu
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