Die Jagd beginnt
Bett, doch nach nur wenigen Stunden trieb Liandrin sie bereits wieder hoch. Sie wartete kaum, bis sie aufgesessen waren. Rampen und Brücken, Inseln und Wegweiser. Egwene sah so viele in dieser Pechschwärze, dass sie sie nicht mehr zählen konnte. Auch die Stunden und Tage konnte sie nicht mehr zählen – ihr Zeitgefühl funktionierte hier einfach nicht mehr. Liandrin gestattete ihnen nur kurze Pausen zum Essen und um die Pferde ausruhen zu lassen, und die Dunkelheit drückte auf ihre Schultern. Sie hingen alle außer Liandrin wie Mehlsäcke in ihren Sätteln. Die Aes Sedai schien von der Anstrengung und der Dunkelheit unbeeindruckt. Sie wirkte so frisch wie in der Weißen Burg und genauso kalt. Sie ließ niemanden einen Blick auf das Pergament erhaschen, das sie immer mit den Wegweisern verglich, und steckte es jedes Mal mit einem kurzen »Ihr versteht das sowieso nicht« weg, wenn Nynaeve sie danach fragte.
Und dann, während Egwene noch müde in die Dunkelheit blinzelte, ritt Liandrin von einem Wegweiser weg – nicht eine weitere Rampe hinunter oder auf eine Brücke, sondern entlang einer zerfransten weißen Linie, die in die Dunkelheit hineinführte. Egwene blickte sich nach ihren Freundinnen um, und dann beeilten sich alle, Liandrin zu folgen. Vor ihnen entfernte die Aes Sedai bereits im Lichtschein ihrer Laterne das Avendesora -Blatt aus dem Fries eines Wegetors.
»Wir sind da«, erklärte Liandrin lächelnd. »Ich habe euch nun endlich an euren Bestimmungsort gebracht.«
KAPITEL 40
Damane
E gwene stieg vom Pferd, als sich das Tor öffnete, und als Liandrin ihnen bedeutete hindurchzugehen, führte sie die zerzauste Stute vorsichtig hinaus. Trotzdem stolperten sowohl sie als auch Bela über das von dem sich öffnenden Tor niedergedrückte Gestrüpp, als sie sich mit einem Mal viel langsamer bewegten. Dichtes Gestrüpp hatte den Zugang zu den Kurzen Wegen überwuchert und verborgen. Nur ein paar Bäume standen in der Nähe, und das Laub, das im Morgenwind flatterte, war ein wenig bunter als das in Tar Valon.
Sie beobachtete ihre Freundinnen beim Herauskommen so konzentriert, dass sie mehr als eine Minute dort gestanden hatte, bevor ihr bewusst wurde, dass sich noch andere hier befanden, lediglich außer Sicht an der Rückseite des Tors. Als sie die anderen schließlich bemerkt hatte, blickte sie nervös hinüber: Es war die eigenartigste Ansammlung von Menschen, die sie je gesehen hatte, und außerdem hatte sie schon zu viele Gerüchte über den Krieg auf der Toman-Halbinsel gehört.
Es waren mindestens fünfzig schwer gerüstete Männer mit Schuppenpanzern und matten schwarzen Helmen in der Form von Insektenköpfen, die da in ihren Sätteln saßen oder neben ihren Pferden standen und sie und die anderen gerade auftauchenden Frauen und das Tor anstarrten. Sie unterhielten sich offensichtlich über das, was sie sahen. Der Einzige, der seinen vergoldeten und bemalten Helm nicht auf dem Kopf trug, sondern an die Hüfte stemmte, ein hoch gewachsener, dunkelhäutiger Bursche mit einer Hakennase, staunte unverhohlen.
Neben den Soldaten standen auch Frauen. Zwei davon trugen einfache dunkelgraue Kleider und breite silberne Halsbänder. Sie musterten die Neuankömmlinge besonders eindringlich. Direkt hinter jeder stand eine weitere Frau, so, als wolle sie ihr etwas ins Ohr flüstern. Zwei weitere Frauen, die ein kleines Stückchen weiter weg standen, trugen weite, geschlitzte, nicht einmal knöchellange Röcke und auf dem Busen und am Rock jeweils ein Abzeichen mit einem gespaltenen Blitz. Am eigenartigsten jedoch wirkte eine Frau, die auf einer von acht muskulösen Männern mit nackten Oberkörpern und weiten schwarzen Hosen getragenen Sänfte ruhte. Ihr Kopf war auf beiden Seiten kahl rasiert, sodass nur ein einziger Strang schwarzen Haars in der Mitte auf ihre Schultern fiel. Ihre lange, beigefarbene Robe mit Blumen und Vögeln auf blauen Ovalen war so drapiert, dass ihr schimmernd weißer Rock gut sichtbar war. Ihre Fingernägel waren enorm lang, und die beiden ersten an jeder Hand hatte sie blau gefärbt.
»Liandrin Sedai«, fragte Egwene nervös, »wisst Ihr, wer diese Leute sind?« Ihre Freundinnen hielten die Zügel so verkrampft, als dächten sie daran, auf die Pferde zu springen und wegzugaloppieren. Doch Liandrin steckte nur das Avendesora -Blatt an seinen Platz zurück und trat selbstbewusst vor, während sich das Tor langsam schloss. »Hochlady Suroth?«, sagte Liandrin. Es klang wie ein
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