Die Jagd beginnt
offensichtlich auf Eile.
Als Nynaeve durch das Tor kam und ganz langsam ihre graue Stute hinter sich her führte, rannte Egwene beinahe zu ihr, um sie zu umarmen. Allerdings wollte sie damit auch ins Licht der Laterne gelangen, die Nynaeve trug. Der Lichtkreis der Laterne war kleiner als gewohnt. Die Dunkelheit drückte gegen das Licht und versuchte, es in die Laterne zurückzudrängen. Aber Egwene hatte den wachsenden Druck der Dunkelheit auf ihren Körper gespürt, als besitze sie ein Gewicht. Nun begnügte sie sich damit zu sagen: »Bela ist unversehrt, und ich habe mir auch nicht den Hals gebrochen, obwohl ich es verdient hätte.«
Einst hatte es in den Wegen Licht gegeben, bevor die Verderbnis der Macht, mit deren Hilfe sie erschaffen worden waren, die Verderbnis des Dunklen Königs, die auf Saidin lastete, begonnen hatte, auch sie zu verderben.
Nynaeve reichte ihr die Laterne und wandte sich um, damit sie noch eine unter ihrem Sattelgurt hervorziehen konnte. »Solange du dir darüber im Klaren bist, dass du es verdient hast«, murmelte sie, »hast du es nicht verdient.« Plötzlich schmunzelte sie. »Manchmal glaube ich, dass es solche Sprüche waren und nicht alles andere, was uns den Titel ›Dorfheilerin‹ eingebracht hat. Hier ist noch einer von der Sorte: Du brichst dir den Hals, und ich heile ihn wieder, damit ich ihn dir selbst brechen kann.«
Sie sagte das leichthin, und Egwene lachte auch darüber – bis sie sich darauf besann, wo sie sich befanden. Auch Nynaeves Heiterkeit hielt nicht lange an.
Min und Elayne kamen zögernd durch den Eingang, führten ihre Pferde und hielten die Laternen, als befürchteten sie, dass hier Ungeheuer auf sie warteten. Zuerst machten sie ob der Dunkelheit einen erleichterten Eindruck, aber sie war so erdrückend, dass sie bald nervös von einem Fuß auf den anderen traten. Liandrin drückte das Avendesora -Blatt an seinen Platz und ritt mit dem Packpferd im Schlepptau durch das sich schließende Tor.
Liandrin wartete nicht, bis sich das Tor völlig geschlossen hatte. Sie warf Min die Führleine des Packpferds wortlos zu und ritt entlang einer weißen Linie weiter, die im Licht der Laternen nur trübe zu sehen war und in die Wege hineinführte. Der Boden schien aus Stein zu bestehen, der durch die Einwirkung von Säure zerfressen war. Egwene kletterte hastig auf Belas Rücken, aber sie folgte der Aes Sedai nicht schneller als die anderen. Es schien nichts weiter auf der Welt zu existieren als der raue Boden unter den Hufen der Pferde.
Die weiße Linie führte pfeilgerade durch die Dunkelheit zu einer großen Steinplatte, die mit in Silber eingelegter Ogierschrift bedeckt war. An einzelnen Stellen wurde die Schrift von den gleichen Pockennarben unterbrochen, wie sie auf dem Boden zu sehen waren.
»Ein Wegweiser«, murmelte Elayne; sie drehte sich im Sattel um und starrte nervös zurück. »Elaida hat mir ein wenig von den Wegen erzählt. Sie hat aber nicht viel gesagt. Nicht genug«, fügte sie trübsinnig hinzu. »Oder vielleicht schon zu viel.«
Gelassen verglich Liandrin den Wegweiser mit einem Pergament, das sie dann wieder in einer Tasche ihres Umhangs verstaute, bevor Egwene einen Blick darauf werfen konnte. Der Schein ihrer Laternen endete schlagartig, ohne die üblichen verschwommenen Ränder, doch es reichte für Egwene, eine breite, an einzelnen Stellen zerfallene Steinbalustrade zu erkennen, als die Aes Sedai sie von dem Wegweiser aus weiterführte. Elayne hatte das eine Insel genannt. In der Dunkelheit ließ sich die Größe der Insel schlecht abschätzen, doch Egwene glaubte, sie müsse etwa hundert Schritt Durchmesser haben. Steinbrücken und Rampen unterbrachen die Balustrade. Neben jeder stand ein Steinpfosten mit einer einzigen Linie in der Ogierschrift darauf. Die Brückenbögen schienen sich ins Nichts zu erstrecken. Die Rampen führten entweder nach oben oder nach unten. Es war unmöglich, mehr als ihren Anfang zu überblicken, während sie an ihnen vorbeiritten.
Liandrin blieb immer wieder stehen, um die Steinpfosten zu mustern. Dann wählte sie eine nach unten führende Rampe, und bald existierte nichts mehr als diese Rampe, und die Dunkelheit. Eine lastende Stille hing über allem. Egwene hatte das Gefühl, dass selbst das laute Klappern der Pferdehufe auf den rauen Steinen nicht weit über den Lichtschein hinaus trug.
Immer tiefer hinunter führte die Rampe. Sie beschrieb eine enge Windung und dann befanden sie sich auf einer neuen Insel
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