Die Jagd beginnt
keinen Hunger gehabt.«
»Weil ich einfach keinen Hunger hatte«, fauchte Nynaeve. Sie versuchte, das Knurren in ihrem Magen nicht zu beachten. Alles kostete hier viel mehr, als sie erwartet hatte. Sie hatte gehört, wie sich die Einheimischen darüber beschwerten, dass die Preise seit der Ankunft der Seanchaner so stark gestiegen waren. »Gib mir einen davon.« Der Apfel, den Elayne aus ihrer Tasche hervorkramte, war klein und hart, aber er schmeckte ausgesprochen süß, als Nynaeve hineinbiss. Sie leckte sich die Lippen. »Wie hast du das angestellt« Sie zerrte Elayne herum und sah ihr in die Augen. »Hast du …? Hast du …?« Sie kam nicht darauf, wie sie ihre Frage formulieren sollte, ohne dass die vielen vorbeiströmenden Menschen etwas mitbekamen. Doch Elayne verstand sie auch so.
»Nur ein bisschen. Ich habe es so angestellt, dass der Stapel alter Melonen, die schon Druckflecken hatten, umfiel, und als er sie wieder aufstapelte …« Sie bringt nicht einmal so viel Anstand auf, zu erröten oder verlegen zu wirken, dachte Nynaeve. Stattdessen aß sie gelassen einen Apfel und zuckte die Achseln. »Es ist gar nicht nötig, dass du mich so finster ansiehst. Ich habe mich genau vergewissert, dass keine Damane in der Nähe war.« Sie schniefte. »Wenn ich eine Gefangene wäre, würde ich denen nicht helfen, weitere Frauen zu Sklavinnen zu machen. Wenn man allerdings diese Leute aus Falme betrachtet, könnte man denken, sie hätten ihr Leben lang nichts anderes getan, als denen zu dienen, die eigentlich ihre größten Feinde sind.« Sie sah sich mit verächtlich verzogener Miene um. Man konnte deutlich den Kurs eines jeden Seanchaners durch die Menge verfolgen, selbst den einfacher Soldaten, denn die Verbeugungen pflanzten sich wie eine Welle fort. »Sie sollten Widerstand leisten und kämpfen.«
»Wie denn? Gegen … das?«
Sie mussten wie alle anderen zur Seite treten, als sich eine Patrouille der Seanchaner näherte, die vom Hafen heraufkam. Nynaeve brachte es fertig, sich – Hände auf den Knien – mit völlig unbeteiligtem Gesicht zu verbeugen. Elayne war langsamer und begleitete ihre Verbeugung mit immer noch verächtlich verzogenem Mund.
Die Patrouille bestand aus zwanzig gerüsteten Männern und Frauen. Sie ritten auf gewöhnlichen Pferden, was Nynaeve dankbar zur Kenntnis nahm. Sie konnte sich nicht daran gewöhnen, Leute auf Kreaturen reiten zu sehen, die wie schwanzlose Katzen mit Bronzeschuppen aussahen, und ein Reiter auf einem dieser fliegenden Wesen verursachte ihr gar Schwindelgefühle. Sie war heilfroh, dass es so wenige davon gab. Aber auch bei dieser Patrouille liefen zwei angekettete Kreaturen nebenher, die wie flügellose Vögel mit ledriger Haut und scharfen spitzen Schnäbeln aussahen. Ihre Köpfe ragten noch über die Helme der berittenen Soldaten hinaus. Mit ihren langen sehnigen Beinen rannten sie sicherlich schneller als jedes Pferd.
Sie richtete sich langsam wieder auf, nachdem die Seanchaner verschwunden waren. Einige Leute, die sich ebenfalls tief verbeugt hatten, machten den Eindruck, als wären sie am liebsten weggelaufen, denn außer den Seanchanern selbst fühlte sich niemand in der Gegenwart dieser Kreaturen wohl. »Elayne«, sagte sie leise, als sie weitergingen, »ich schwöre dir: Wenn sie uns fangen, werde ich vor meinem Tod auf Knien darum bitten, dass ich dich zuvor noch von Kopf bis Fuß mit der stärksten Rute verhauen darf, die ich finden kann. Wenn du immer noch keine Vorsicht gelernt hast, ist es vielleicht besser, dich nach Tar Valon zurückzuschicken oder heim nach Caemlyn oder jedenfalls irgendwo anders hin.«
»Ich bin doch vorsichtig. Ich habe mich umgesehen, um sicher zu sein, dass keine Damane in der Nähe war. Wie steht es denn mit dir? Ich habe gesehen, wie du die Macht benützt hast, obwohl eine Damane in Sicht war.«
»Ich habe mich vergewissert, dass sie nicht in meine Richtung schaute«, knurrte Nynaeve. Sie hatte ihren ganzen Zorn auf Frauen in die Waagschale werfen müssen, die andere Frauen wie Tiere an die Leine legten, um überhaupt etwas zustande zu bringen. »Und es war nur ein einziges Mal und sowieso nur ein ganz schwacher Versuch.«
»Ein ganz schwacher Versuch? Wir mussten uns drei Tage lang im Fischgestank unseres Zimmers verbergen, weil sie den ganzen Ort absuchten, um jene zu finden, die das angestellt hatte! Nennst du das Vorsicht?«
»Ich musste herausbekommen, ob es möglich ist, diese Halsbänder zu öffnen.« Sie glaubte
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