Die Jagd beginnt
die Fremden durchbrechen, werdet Ihr alle Hände voll zu tun haben. Die Taraboner behaupten, die Fremden seien Ungeheuer, Kreaturen des Dunklen Königs. Einige sagen, sie hätten Aes Sedai dabei, die für sie kämpfen. Falls diese Fremden wirklich Schattenfreunde sind, muss man sich um sie kümmern. Wenn die Zeit dazu gekommen ist.«
Einen Augenblick lang stockte Bornhald der Atem. »Dann stimmen die Gerüchte. Artur Falkenflügels Heer ist zurückgekehrt.«
»Fremde«, sagte Saren ausdruckslos. Es klang, als bereue er, überhaupt damit angefangen zu haben. »Fremde, möglicherweise Schattenfreunde, woher auch immer sie kamen. Das ist alles, was wir wissen, und alles, was Ihr wissen müsst. Im Moment betrifft Euch das noch nicht. Wir verschwenden unsere Zeit. Bringt Eure Männer über den Fluss, Bornhald. Ich werde Euch Eure Befehle im Dorf übermitteln.« Er riss sein Pferd herum und galoppierte den Weg zurück, den sie gekommen waren. Die Fackelträger folgten ihm auf den Fersen.
Bornhald schloss die Augen, damit er schneller wieder im Dunkeln sehen konnte. Man benützt uns wie die Steine auf einem Spielbrett. »Byar!« Er öffnete die Augen, als sein Adjutant neben ihm erschien und im Sattel vor seinem Lordhauptmann Haltung annahm. Der Mann mit dem hageren Gesicht hatte beinahe den Ausdruck der Zweifler in den Augen, aber trotzdem war er ein guter Soldat. »Vor uns liegt eine Brücke. Bringe die Legion hinüber, und lass sie dort lagern. Ich werde wieder bei euch sein, sobald ich kann.«
Er raffte seine Zügel und ritt in dieselbe Richtung wie der Zweifler. Steine auf einem Spielbrett. Aber wer zieht uns? Und warum?
Die Nachmittagsschatten machten langsam der Abenddämmerung Platz, als Liandrin durch die Frauenquartiere ging. Jenseits der Schießscharten wurde es dunkel, und die zunehmende Dunkelheit drückte gegen den Schein der Lampen im Korridor. In letzter Zeit machte Liandrin die Dämmerung – sowohl abends als auch morgens – mächtig zu schaffen. In der Morgendämmerung wurde der Tag geboren, und in der Abenddämmerung die Nacht, aber am Morgen starb auch die Nacht, und der Tag starb mit der Abenddämmerung. Die Macht des Dunklen Königs hatte ihre Wurzeln im Tod, aus dem er seine Kraft bezog, und zu diesen Tageszeiten glaubte sie, seine Macht fast greifbar spüren zu können. Auf jeden Fall aber rührte sich etwas im Halbdunkel des Flurs. Sie war sich fast sicher, sie könne es sehen, wenn sie sich nur schnell genug umdrehte und wenn sie nur konzentriert genug hinsah.
Dienerinnen in Schwarz und Gold knicksten, als sie vorbeiging, aber sie beachtete sie nicht. Sie sah stur geradeaus und würdigte sie keines Blicks.
An der gesuchten Tür blieb sie kurz stehen und sah sich schnell nach allen Seiten um. Die einzigen Frauen in Sichtweite waren Dienerinnen; natürlich waren keine Männer da. Sie schob die Tür auf und ging ohne Anklopfen hinein.
Das vordere von Lady Amalisas Gemächern war hell beleuchtet, und ein prasselndes Feuer im Herd minderte die Kühle der shienarischen Nacht. Amalisa und ihre Hofdamen saßen im Raum auf Stühlen oder auf Teppichstapeln und lauschten, während eine von ihnen im Stehen laut etwas vorlas. Es war Der Tanz des Falken und des Kolibris von Teven Aerwin, in dem die Benimmregeln von Männern Frauen gegenüber und von Frauen Männern gegenüber festgelegt wurden. Liandrins Mund verzog sich; sie hatte das gewiss nicht gelesen, aber mehr als genug davon gehört. Amalisa und ihre Damen begrüßten jede Eröffnung mit schallendem Gelächter. Sie ließen sich aufeinander fallen und trommelten mit den Fersen auf die Teppiche wie Mädchen.
Die Vorleserin war die Erste, die Liandrin entdeckte. Mit überrascht geweiteten Augen brach sie mitten im Satz ab. Die anderen drehten sich um, weil sie sehen wollten, wen sie so anstarrte, und dann verstummte das Lachen. Alle außer Amalisa rappelten sich hoch und glätteten hastig Haar und Kleid.
Lady Amalisa erhob sich graziös mit einem Lächeln auf den Lippen. »Ihr ehrt uns mit Eurer Gegenwart, Liandrin. Das ist eine äußerst angenehme Überraschung. Ich erwartete Euch erst morgen. Ich dachte, Ihr wolltet Euch nach der langen Reise aus …«
Liandrin unterbrach sie in scharfem Ton, wobei sie sie nicht direkt ansprach, sondern in die Luft hinein redete: »Ich beabsichtige, mit Lady Amalisa allein zu sprechen. Ihr werdet alle gehen. Sofort.«
Es gab einen Augenblick erschrockenen Schweigens, und dann verabschiedeten sich die
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