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Die Jagd beginnt

Die Jagd beginnt

Titel: Die Jagd beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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anderen Frauen von Amalisa. Eine nach der anderen knickste vor Liandrin, doch diese reagierte nicht darauf. Sie starrte weiter geradeaus ins Leere, doch sie sah und hörte sie. Ehrenbezeigungen, die unangenehm berührt ob der Laune der Aes Sedai dargebracht wurden. Gesenkte Augen, als sie sie nicht beachtete. Sie drückten sich an ihr vorbei zur Tür, wobei sie sich seitlich vorbeischieben mussten, damit ihre Röcke den ihren nicht berührten.
    Als sich die Tür hinter der letzten schloss, sagte Amalisa: »Liandrin, ich verstehe nicht …«
    »Wandelt Ihr im Licht, Tochter?« Hier würde es diesen Unsinn nicht mehr geben, sie ›Schwester‹ zu nennen. Die andere Frau war einige Jahre älter, doch die alten Höflichkeitsformen würden von jetzt ab wieder beachtet werden. Wie lange sie auch vergessen sein mochten, es war Zeit, sich wieder daran zu erinnern.
    Sobald sie die Frage gestellt hatte, merkte Liandrin, dass sie einen Fehler begangen hatte. Es war eine Frage, die, wenn eine Aes Sedai sie stellte, Zweifel und Angst auslöste, doch Amalisas Rücken versteifte sich, und ihr Gesichtsausdruck wurde hart.
    »Das ist eine Beleidigung, Liandrin Sedai. Ich bin Shienarerin aus einem adligen Haus und aus einer Familie von Soldaten. Meine Familie hat schon gegen den Schatten gekämpft, bevor es Shienar überhaupt gab; dreitausend Jahre ohne Fehl und Tadel und ohne einen einzigen Tag der Schwäche.«
    Liandrin verlegte sich auf eine andere Art des Angriffs; sie dachte nicht daran zurückzustecken. Sie schritt quer durch den Raum, nahm das ledergebundene Exemplar von Der Tanz des Falken und des Kolibris und hielt es, ohne hineinzublicken. »In Shienar, meine Tochter, muss noch mehr als in anderen Ländern das Licht hochgehalten und der Schatten gefürchtet werden.« Ganz nebenbei warf sie das Buch ins Feuer. Flammen schlugen hoch, als sei es ein Stück Feuerholz. Sie prasselten, als sie den Kamin hochzüngelten. Im gleichen Augenblick flammte jede Lampe im Raum zischend auf. Sie brannten derart heiß, dass sie den Raum mit Licht überfluteten. »Hier mehr als überall sonst. Hier, so nahe an der verfluchten Fäule, wo das Verderben wartet. Hier könnte selbst jemand, der glaubt, im Licht zu wandeln, bereits vom Schatten verdorben sein.«
    Schweißtropfen glitzerten auf Amalisas Stirn. Die Hand, die sie zum Protest des Buches wegen erhoben hatte, fiel schlaff herunter. Ihre Züge blieben immer noch fest und entschlossen, doch Liandrin beobachtete, wie sie schluckte und von einem Fuß auf den anderen trat. »Ich verstehe nicht, Liandrin Sedai. Liegt es an dem Buch? Das ist doch nur Unsinn.«
    Ihre Stimme schwankte ein wenig. Gut. Die Glasschirme einiger Lampen zersprangen, als die Flammen höher hinaufschlugen und den Raum so hell erleuchteten, als hielten sie sich zur Mittagszeit im Freien auf. Amalisa stand stocksteif da. Ihr Gesicht war angespannt. Sie bemühte sich, nicht zu blinzeln.
    »Ihr seid es, die Unsinn redet, meine Tochter. Mir liegt nichts an Büchern. Hier betreten Menschen die Fäule und wandeln in ihrer Verderbtheit. Direkt im Schatten. Warum wundert Ihr Euch dann, wenn der Fluch in sie einsickert? Ob mit oder gegen ihren Willen: Er dringt in sie ein. Warum glaubt Ihr, dass die Amyrlin sich persönlich hierherbegeben hat?«
    »Nein!« Es war mehr ein Keuchen.
    »Ich gehöre zu den Roten, meine Tochter«, sagte Liandrin drängend. »Ich jage alle Männer, die vom Verderben angesteckt sind.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Nicht nur die Verderbten, die die Eine Macht zu benützen versuchen. Alle befallenen Männer, ob hochstehend oder gemein, werden von mir gejagt.«
    »Ich …« Amalisa leckte sich verunsichert die Lippen und bemühte sich sichtlich, sich zusammenzureißen. »Ich verstehe nicht, Liandrin Sedai. Bitte …«
    »Die hochstehenden sogar noch eher als die gemeinen.«
    »Nein!« Als wäre eine unsichtbare Stütze zusammengebrochen, fiel Amalisa auf die Knie, und ihr Kopf senkte sich. »Bitte, Liandrin Sedai, sagt, dass Ihr nicht Agelmar meint.«
    In diesem Augenblick voller Zweifel und Verwirrung schlug Liandrin zu. Sie bewegte sich nicht, sondern schlug mit der Einen Macht nach Amalisa. Die schnappte nach Luft und zuckte, als habe man sie mit einer Nadel gestochen, und Liandrins Schmollmund verzog sich zu einem Lächeln.
    Das war ihr besonderer Trick aus ihrer Kindheit, die erste ihrer Fähigkeiten, die sie zu verwenden gelernt hatte. Es war ihr verboten worden, sobald die Herrin der Novizinnen es

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