Die Jagd beginnt
und gemeinsame Lenken der Einen Macht war selbst unter den besten Voraussetzungen eine ermüdende Arbeit, selbst mithilfe eines Angreals , und die ganze Nacht ohne Schlaf durcharbeiten zu müssen stellte keine besonders gute Voraussetzung dar. Und die Arbeit mit dem Jungen war nicht gerade leicht gewesen.
Leane wies die Bahrenträger mit scharfen Gesten und ein paar knappen Worten hinaus. Die beiden Männer duckten sich ständig nervös, weil so viele Aes Sedai um sie herum waren, eine davon auch noch die Amyrlin persönlich. Dazu hatten sie die Macht benützt. Sie hatten im Korridor an die Wand gekauert gewartet, während drinnen die Arbeit getan wurde, und sie waren erpicht darauf, die Frauenquartiere verlassen zu können. Mat lag mit geschlossenen Augen und blassem Gesicht auf der Bahre, doch seine Brust hob und senkte sich im gleichmäßigen Rhythmus tiefen Schlafes.
Wie wird das die Entwicklung der Dinge beeinflussen? fragte sich Moiraine. Seine Mitwirkung ist nicht erforderlich, nun, da das Horn weg ist, aber …
Die Tür schloss sich hinter Leane und den Bahrenträgern, und die Amyrlin atmete keuchend. »Eine böse Sache. Wirklich böse.« Ihre Gesichtszüge waren glatt, doch sie rieb sich die Hände, als wolle sie sie waschen.
»Aber ziemlich interessant«, sagte Verin. Sie war die vierte Aes Sedai gewesen, die die Amyrlin für diese Arbeit auserwählt hatte. »Es ist zu dumm, dass wir den Dolch nicht haben, um so die Heilung abschließen zu können. Trotz alledem, was wir heute Nacht getan haben, wird er nicht lange leben. Im besten Fall vielleicht einige Monate.« Die drei Aes Sedai waren allein in den Gemächern der Amyrlin. Hinter den Schießscharten überzog das erste Licht der Morgendämmerung den Himmel.
»Aber jetzt sind ihm wenigstens diese Monate gegeben«, sagte Moiraine scharf. »Und falls man ihn findet, kann die Verbindung immer noch unterbrochen werden.« Falls man ihn findet. Ja, natürlich.
»Sie kann noch unterbrochen werden«, stimmte Verin zu. Sie war eine mollige Frau mit einem breiten Gesicht, und selbst die den Aes Sedai eigene Gabe der Alterslosigkeit konnte nicht verhindern, dass ein Hauch von Grau über ihrem braunen Haar lag. Das war das einzige Anzeichen für ihr Alter, aber für eine Aes Sedai bedeutete das, dass sie wirklich sehr alt war. Ihre Stimme klang jedoch kräftig und entsprach ihren glatten Wangen. »Er war allerdings lange Zeit mit dem Dolch verbunden – lange Zeit, was solche Dinge eben betrifft. Und die Verbindung wird noch länger andauern, ob man ihn findet oder nicht. Er ist vielleicht jetzt schon jenseits aller Heilkunst verändert, wenn auch nicht mehr so stark, dass er andere damit anstecken könnte. Ein so kleines Ding, dieser Dolch«, überlegte sie laut, »aber er verdirbt jeden, der ihn lange genug trägt. Und der ihn trägt, wird dann wieder diejenigen anstecken, die mit ihm in Berührung kommen, und die wiederum andere, und so werden Hass und Misstrauen, die Shadar Logoth zerstört haben, die jeden Mann und jede Frau gegeneinander kämpfen ließen, wieder die Welt überziehen. Ich frage mich, wie viele Menschen in, sagen wir, einem Jahr angesteckt werden können. Es sollte möglich sein, eine halbwegs wirklichkeitsnahe Anzahl zu berechnen.«
Moiraine bedachte die Braune Schwester mit einem ironischen Blick. Wir stehen einer neuen Gefahr gegenüber, und sie hört sich an, als ginge es um ein Rätsel aus einem Buch. Licht, die Braunen haben wirklich keine Ahnung vom Leben. »Dann müssen wir den Dolch finden, Schwester. Agelmar schickt Männer aus, um jene zu jagen, die das Horn stahlen und seine Männer töteten, dieselben, die auch den Dolch nahmen. Wenn man das eine findet, hat man auch das andere.«
Verin nickte, zog aber gleichzeitig die Stirn kraus. »Und doch, wer könnte ihn sicher zurückbringen, falls man ihn findet? Wer auch immer ihn berührt, riskiert den Fluch des Dolchs, wenn er ihm zu lange ausgesetzt ist. Vielleicht in einer Truhe, gut gepolstert und eingepackt, aber er wäre trotzdem noch gefährlich für jemanden, der ihm längere Zeit über zu nahe ist. Ohne den Dolch selbst zu haben, um ihn genau zu studieren, können wir nicht sicher sein, wie er abgeschirmt werden muss. Aber Ihr habt ihn doch gesehen und noch mehr, Moiraine. Ihr habt Euch darum gekümmert und erreicht, dass dieser junge Mann ihn tragen und überleben konnte, ohne einen anderen anzustecken. Ihr müsst doch eine Ahnung haben, wie stark sein Einfluss
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