Die Jagd des Adlers
dich selbst zu beanspruchen.«
Ein langes Schweigen folgte, bevor Longinus mit amüsiertem Gesichtsausdruck sagte: »Welch ein erstaunlicher Gedanke. Mir scheint eher, dass jemand sich mit unserem Freund Narcissus einen Scherz erlaubt hat.«
»Falls das so ist, kann er nicht erkennen, was daran so lustig sein soll, Herr. Deshalb wurden wir hierhergeschickt. Um zu sehen, was du vorhast.«
»Und was ist eure Schlussfolgerung?«
Macro räusperte sich. Er war schon lange nicht mehr so nervös gewesen. »Nach allem, was wir bisher gesehen haben, würde ich sagen, dass dein Verhalten den Anschein erweckt, die Anschuldigungen, die gegen dich vorgebracht wurden, zu bestätigen.«
»So, würdest du das?«, erwiderte Longinus tonlos. »Wenn das wirklich deine Ansicht ist, dann bist du auch hoffentlich in der Lage, deine Schlussfolgerung zu begründen. Denn wenn du das nicht kannst, dann wird Narcissus wegen dir wie ein Narr dastehen. In einem solchen Fall möchte ich nicht an deiner Stelle sein. Was also sind deine Beweise, die du gegen mich in der Hand hast, Präfekt?« Bevor Macro antworten konnte, hob Longinus die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und fuhr fort: »Ich selbst werde dir sagen, was du hast. Nichts. Nichts außer einem Verdacht und irgendwelchen Zufällen. Es gibt keine Unterlagen, die deine Version der Ereignisse stützen. Und keine Zeugen.«
»Nicht?« Macro lächelte. »Und was ist mit Postumus hier? Ich bin sicher, dass Narcissus über Männer verfügt, die außerordentlich geschickt darin sind, Informationen von ihm zu bekommen.«
»Sofern wir annehmen, dass er dann noch zur Verfügung steht, um befragt zu werden.« Longinus erwiderte Macros Lächeln und drehte sich dann zu Postumus um. »Ich meine damit natürlich, dass er fliehen oder sich verstecken könnte, bevor er befragt wird.«
»Ich bin sicher, dass du das gemeint hast«, sagte Macro. »Schließlich würdest du einen so loyalen Helfer nicht einfach beseitigen wollen.«
»Genau. Also, wie stehen die Dinge dann?«
Wieder herrschte Schweigen, während Macro über die Frage nachdachte. Es gab keine stichhaltigen Beweise gegen den Statthalter, und jeder im Raum wusste das. Genauso wie jeder wusste, dass Longinus sehr wohl im Begriff gewesen war, eine Verschwörung gegen den Kaiser zu organisieren. Es war Cato, der sich als Erster wieder zu Wort meldete.
»Wie wäre es, wenn wir vorläufig akzeptieren würden, dass Narcissus nichts gegen dich unternehmen kann?«
Longinus hob die Augenbrauen. »Ja, was wäre dann?«
»Die bloße Tatsache, dass wir hierhergeschickt wurden, um die Lage zu untersuchen, bedeutet, dass er irgendeinen Grund für den Verdacht gegen dich hat, und er wird alles tun, um jeden Plan zu unterminieren, mit dem du versuchen könntest, dich gegen den Kaiser zu stellen.«
»Woraus folgt?«
»Woraus folgt, dass du keine Chance auf Verstärkung deiner Armee hast. Selbst wenn du dich noch so sehr bemühst, die Lage vor Ort so darzustellen, als bestünde eine Gefahr für die Interessen Roms, wird Narcissus dir keine zusätzlichen Truppen schicken. Wodurch jede Verschwörung, die es möglicherweise gegeben haben könnte, zum Scheitern verurteilt wäre. Würdest du dem nicht zustimmen, Herr?«
»Mag sein. Wenn wir annehmen, dass es eine solche Verschwörung überhaupt gegeben hat.«
»Wenn wir davon ausgehen, kann sich die Situation sogar noch als vorteilhaft erweisen.«
Longinus starrte Cato an. Dann machte er eine auffordernde Geste. »Bitte, erklär mir das.«
»Ja, Herr.« Cato konzentrierte sich einen Moment lang, bevor er weitersprach. »Du weißt bereits, welche Gefahr uns durch Bannus droht. Wenn sich sein Widerstand über die unmittelbare Region hinaus ausweitet, dann könnte sich die ganze Provinz Judäa gegen Rom wenden. Was du vielleicht aber noch nicht weißt, ist das hier: Wir haben Gerüchte gehört, dass die Parther angeboten haben, Bannus zu unterstützen. Mit Waffen und vielleicht sogar mit Männern. Wenn es sich wirklich so verhält, dann steht sogar noch viel mehr auf dem Spiel. Abgesehen davon, dass du einen Aufstand in Judäa niederzuschlagen hättest, müsstest du den Parthern gegenübertreten und sie davon überzeugen, ihre Unterstützung zurückzuziehen. Sollten die Parther jedoch irgendwelche Zweifel an deiner Loyalität gegenüber dem Kaiser haben, könnte die Anwesenheit eines römischen Generals, der an ihrer Grenze den Einzelgänger spielt, zu einer diplomatischen Konfrontation führen, die
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