Die Jagd des Adlers
hatte.
Symeon kauerte sich neben sie. »Miriam?«
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und sah auf, wodurch ein Schnitt und ein blauer Fleck auf einer ihrer Wangen sichtbar wurden. Einen Moment lang wirkte sie benommen und verwirrt, doch schließlich schien sie wieder klar denken zu können. Sie schluckte und räusperte sich. »Womit haben wir das nur verdient?«
»Was ist passiert?«, fragte Symeon mit sanfter Stimme. Er nahm ihre Hand und streichelte sie. »Miriam, was ist passiert?«
Sie sah mit zitternden Lippen zu ihm auf. »Bannus. Er ist mit einigen Männern hierhergekommen. Sie verlangten etwas zu essen und das wenige Gold und Silber, das wir besitzen. Als meine Leute protestierten, griff sich Bannus die am nächsten stehende Familie und brachte sie alle um, einen nach dem anderen, bis wir ihm gaben, was er wollte.« Sie sah zu Cato und Macro. »Er hat das Kästchen meines Sohnes mitgenommen … Und er hat Yusef mitgenommen.« Ihr Gesicht schien in sich zusammenzufallen, als sie wieder zu weinen begann. Ihr von Verzweiflung und Trauer erfülltes Schluchzen ließ ihren mageren Körper erzittern. Zärtlich legte ihr Symeon einen Arm um die Schulter und strich ihr durch das Haar.
»Yusef?« Cato runzelte die Stirn. »Was will er mit Yusef? Das ergibt keinen Sinn. Warum sollte er sich mit einem Gefangenen belasten, wenn er versucht, vor uns zu fliehen?«
»Er hat ihn nicht als Gefangenen mitgenommen«, murmelte Miriam. »Sondern als Geisel. Er hat dich erkannt, Symeon, als du ihn heute Morgen angegriffen hast. Er weiß, du bist hinter ihm her, und er weiß, du würdest niemals zulassen, dass Yusef in irgendeiner Weise zu Schaden kommt. Deswegen hat er ihn mitgenommen.«
»Na schön«, sagte Macro. »Das mit dem Jungen kann ich verstehen, aber das Kästchen? Was hat es damit auf sich?«
Miriam antwortete leise. »Bannus behauptet, dass nur er allein das Werk Jehoshuas fortführt. Er hat viele Anhänger unter unseren Leuten. Der Inhalt des Kästchens ist von großem Wert für sie.«
»Ein Schatz?«
Miriam zuckte mit den Schultern. »Eine Art Schatz. Jetzt ist er in Bannus’ Händen, und Bannus wird mit seiner Hilfe behaupten, dass er der rechtmäßige Nachfolger meines Sohnes ist.«
»Was ist in diesem Kästchen?«, fragte Macro Symeon.
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Symeon. »Das weiß nur Miriam.«
Macro wandte sich wieder ihr zu. »Nun?«
Sie schüttelte den Kopf, und Macro seufzte ungeduldig. »Dann sagst du es mir eben nicht … Sei’s drum. Auf jeden Fall hat Bannus das Kästchen, er hat eine Geisel, und er hat einen Vorsprung vor uns. Weißt du, in welche Richtung er gegangen ist?«
»Ja.« Miriam sah auf und wischte sich erneut die Tränen ab. »Er meinte, ich solle Symeon sagen, er könne ihn in Petra finden.«
»Petra?« Cato war verwirrt. »Warum Petra? Und warum sagt er uns, wo er hinwill?«
»Er möchte mit Symeon sprechen. An einem Ort, wo er in Sicherheit ist, wenn er sich mit ihm trifft.«
»Hört sich sinnvoll an«, gab Symeon zu. »Petra selbst ist neutral, auch wenn meine Freunde es nicht sind. Früher war die Stadt mit Judäa verfeindet, doch jetzt ist sie besorgt, dass Rom ein Auge auf Nabatäa geworfen hat. Bannus verlässt sich auf das Misstrauen des Königs gegenüber Rom. Deswegen fühlt er sich dort sicher.«
»Wann ist er aufgebrochen?«, unterbrach ihn Macro. »Miriam?«
»Kurz vor Mittag.«
»Es ist ein Zweitagesritt bis nach Petra, richtig?«
Symeon nickte. »Zwei Tage. Vielleicht auch ein bisschen weniger, wenn man wirklich Tempo macht.«
»Können wir ihn noch einholen?«
Symeon zuckte mit den Schultern. »Wir könnten es versuchen.«
»Dann sollten wir uns auf den Weg machen. Wir haben hier schon genug Zeit verschwendet.« Macro sah, wie verletzt Symeon war, als er sich Miriam zuwandte, und er bemerkte auch, wie Cato vorwurfsvoll die Stirn runzelte. Deshalb wandte er sich seinerseits an Miriam und versuchte, einen vernünftigen und ermutigenden Ton anzuschlagen. »Hör zu, Miriam, je früher wir aufbrechen, umso besser stehen unsere Aussichten, deinen Enkel und das Kästchen zu dir zurückzubringen.«
Plötzlich packte Miriam Macros Hand und sah ihm eindringlich in die Augen. »Schwöre mir, dass du Yusef zu mir zurückbringen wirst! Schwöre es!«
»Was?« Macro wirkte wütend und versuchte, seine Hand wegzuziehen, doch Miriams Griff war überraschend kräftig. »Hör zu, ich kann das nicht schwören. Aber ich werde mein Bestes
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