Die Jagd - Laymon, R: Jagd - The Endless Night
ein paar Sekunden ebbten die Schmerzen ab, und der »Kratzer« unter dem durchnässten Verband fühlte sich kaum anders an als ein übler Sonnenbrand.
Sie seufzte tief.
Das Schlimmste hab ich wohl hinter mir.
Wie es wohl ist, wenn man sich richtig schwer verletzt, fragte sie sich.
Dad weiß es.
Dad ist sogar Fachmann auf diesem Gebiet.
Von Mom ganz zu schweigen.
Jody stöhnte auf.
Ich will nicht an Mom denken …
Und an Evelyn erst recht nicht. Wie es sich wohl anfühlt, wenn man einen Speer in den Bauch gerammt bekommt?
»Oh mein Gott«, flüsterte sie.
Während sie die Seife auspackte, versuchte sie, an etwas Angenehmes zu denken.
Denk an etwas, das mit der ganzen Sache hier überhaupt nichts zu tun hat.
Rob.
Sie sah ihn vor sich, wie er am ersten Wochenende der Schulferien in ihrer Einfahrt gestanden hatte. Sie hatte gerade Dads Auto gewaschen. Er hatte sie überrascht. »Kann ich dir helfen?«, fragte er. »Klar. Aber dann wirst du nass.« Er lächelte. Es war ein wunderschönes Lächeln, sorglos und ein bisschen listig. »Ist doch nur Wasser.« Er zog sein Hemd aus und half ihr. Jody hatte ihn noch nie ohne Hemd gesehen. Seine Haut über dem muskulösen Körper war glatt und braun. Sie hatte ihn mit Wasser bespritzt, sodass er im Sonnenlicht geglänzt hatte.
Jody knüllte die Seifenverpackung zu einer Kugel zusammen und warf sie über den Duschvorhang.
Jetzt geht’s mir schon viel besser.
Sie drehte sich um und fing an, sich einzuseifen.
Bei der Erinnerung daran, wie sich Rob unter dem kalten Strahl gekrümmt und geschüttelt hatte, musste sie lächeln. Das Wasser war wirklich eiskalt gewesen. Das war ihr erst bewusst geworden, als er ihr den Schlauch weggenommen und sie beim Davonlaufen am Rücken erwischt hatte.
Sie hatte eines von Dads alten Hemden über dem Bikini getragen. Der eiskalte Wasserstrahl ließ den Stoff auf ihrem Rücken kleben. Sie kreischte so laut, dass alle Hunde in der Nachbarschaft anfingen zu bellen. Dann drehte sie sich dummerweise um und streckte die Hände aus, in der Hoffnung, das kalte Wasser abwehren zu können. Doch Rob zielte genau auf die Stelle unterhalb des einzigen geschlossenen Hemdknopfs und traf ihren Bauch.
Genau dort, wo mich später der Speer erwischt hat.
Sie tastete nach der Wunde. Die Haut war glitschig, und der Verband hing wie ein kleiner, feuchter Lappen direkt unter ihrem Bauchnabel.
Sie besah sich den Verband, legte die Seife beiseite und machte sich an dem Klebeband zu schaffen. Es ließ sich leicht abziehen. Auf der Unterseite der Mullbinde war ein dunkler Fleck.
Die Wunde selbst war nur ein Schnitt von wenigen Zentimetern Länge.
Sieht gar nicht so schlimm aus, dachte sie.
Es blutete auch nicht.
Sie wrang den Verband aus und hängte ihn über die Duschstange.
Sie war froh, ihn endlich los zu sein.
Er ist ja auch völlig durchnässt. Da bringt er sowieso nichts.
Nach und nach entfernte sie alle Heftpflaster und Verbände – bis auf die Mullbinde, die die Schussverletzung an ihrem Oberschenkel bedeckte.
Die Klebstreifen hatten Schmutzränder auf ihrer Haut hinterlassen, die sie vorsichtig mit dem eingeseiften Waschlappen entfernte. Dann shampoonierte sie sich das Haar und spülte sich schließlich gründlich ab.
Das Handtuch war ziemlich fadenscheinig.
Andy hatte wohl ein etwas neueres erwischt. Zumindest war es nicht durchsichtig gewesen.
Als sie ihr Haar abgetrocknet hatte, war das Handtuch völlig durchnässt. Das andere, das noch am Haken hing, wollte sie für Sharon aufheben.
Sie wickelte sich das Handtuch um die Hand, als wäre es das alte Fensterleder, mit dem sie Dads Auto an jenem Tag poliert hatte, als Rob aufgetaucht war.
Es war schön, an diesen Tag zu denken. Die Erinnerung war wie eine sichere Zufluchtsstätte inmitten des Chaos in ihrem Kopf.
Sie hatte neben dem Vorderreifen gestanden und sich weit über die Motorhaube gebeugt. Ihre Oberschenkel stießen gegen den Kotflügel, und sie spürte das heiße Blech der Motorhaube durch den feuchten Stoff. Eigentlich hatte Rob ja das Heck übernehmen sollen, doch plötzlich tauchte er auf der anderen Seite des Wagens auf. »Buh!«, rief er. Jody erschrak nicht einmal. »Hast du gar keine Angst?«, fragte er, während er das Auto umrundete. »Leider nicht.« – »Mist«, antwortete er und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen das Auto. Sein Gesicht war keinen halben Meter von dem ihren entfernt. »Macht’s dir was aus, wenn ich dir zusehe?«, fragte er.
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