Die Jagd - Laymon, R: Jagd - The Endless Night
vielleicht…
Ich werde ihn gleich morgen anrufen und fragen, ob er mir nicht bei der Autowäsche helfen will. Und dann ziehe ich meinen Bikini an und …
Lieber nicht. Sonst sieht er noch die ganzen blauen Flecken und Kratzer.
Ich rufe ihn trotzdem an. Wir können ja was anderes machen. Etwas, wofür ich mich nicht ausziehen muss.
Sie warf sich ein gequältes Lächeln zu.
Mann, ich hab ihn ja schon ewig nicht mehr gesehen. Er fragt sich bestimmt, wo ich abgeblieben bin. Ich hoffe, dass er mich ebenso vermisst hat wie …
Plötzlich fiel ihr auf, dass sie ihn eigentlich gar nicht so sehr vermisst hatte.
Doch, dachte sie. Ich habe ständig an ihn gedacht. Gut, ich bin nicht gerade vor Sehnsucht eingegangen. Aber ich hatte schließlich noch andere Sachen im Kopf.
Zum Beispiel Andy, die kleine Nervensäge.
Sie nahm die Pistole in die linke Hand, drehte den Wasserhahn auf und beugte sich über das Waschbecken. Mit der Rechten schöpfte sie Wasser in ihren Mund.
Während sie trank, dachte sie an Andy.
Falls er aufwachte, würde ihm bestimmt irgendein Unsinn einfallen, wenn er sie im Bett neben sich liegen sah.
Egal. Ich werde jetzt in diesem Ausziehbett schlafen. Selbst wenn ich den kleinen Stinker fesseln muss, um meine Ruhe zu haben oder … Tolle Idee. Seine Familie ist tot, und er hat niemanden außer mir. Trotzdem wird er irgendetwas versuchen. Er wird wollen, dass ich ihn umarme oder so.
Na ja, das wird mich schon nicht umbringen.
Solange er seine Hände bei sich lässt.
Sie erinnerte sich, wie sie ihn gestern Morgen im Hotel umarmt hatte.
Ich wollte ihn ja nicht anmachen. Das lag einfach an den Umständen. Er war eben zufällig nackt und ich nur im Nachthemd.
Genau wie jetzt. Nur, dass wir in einem dunklen Raum sind, wo uns niemand stören wird.
Oh Mann.
Sie stellte das Wasser ab. Im Spiegel konnte sie direkt in ihren Ausschnitt sehen.
Wenn ich mich vorbeuge, um das Bett herauszuziehen, könnte er mich beobachten … ich kann ja so tun, als hätte ich keine Ahnung, wo er hinguckt.
Ganz toll, Jody. Wieso ziehst du dich nicht gleich nackt aus und bringst es hinter dich?
Sie schnitt sich selbst eine Grimasse und richtete sich auf.
Dann holte sie tief Luft. Sie zitterte am ganzen Körper.
Wie kam sie überhaupt auf die Idee, etwas mit Andy anfangen zu wollen?
Er ist schließlich nicht mein Bruder.
Dessen war sie sich bewusst. Doch abgesehen von der Tatsache, dass er erst zwölf war, war er eine tierische Nervensäge. Was sollte sie also an ihm finden?
Vielleicht liebe ich ihn.
Aber das stimmte nicht. Jedenfalls nicht auf diese Weise. Sie war sich nicht ganz sicher.
Aber es war wohl besser, wenn sie sich vom Gästezimmer fernhielt.
Ich muss aber noch mal rein, fiel ihr ein. Mein Kissen und das Laken liegen noch dort.
Okay, kein Problem. Ich muss ja nur reinhuschen und mir das Zeug schnappen. Wahrscheinlich wird er gar nicht aufwachen. Dann suche ich mir eben einen anderen Schlafplatz. In der Abstellkammer ist ja noch mein Schlafsack …
Ach ja? Den hast du mit zu Evelyn genommen, schon vergessen? Der ist verbrannt.
Dann schlafe ich eben auf dem Boden, entschied sie.
Sie öffnete die Badezimmertür.
Der Mann im Flur grinste sie an.
Es ging so schnell, dass sie nicht einmal Zeit hatte, die Waffe zu entsichern.
Und um Hilfe rufen konnte sie auch nicht mehr.
43
Sie konnte ihn nur ansehen.
Er war ungefähr so groß wie sie. Sein Kopf war mit rauen Haarstoppeln bedeckt. Seine Augen funkelten vor Glück, und sein Gesicht wirkte feminin und fast hübsch, wäre nicht eine Seite mit Kratzern und blutenden Wunden übersät gewesen. Außerdem schien er nackt zu sein.
Sie wollte ihn erschießen oder wenigstens um Hilfe rufen.
Doch bevor sie dazu kam, hatte er ihr schon die Faust in den Magen gerammt.
Jody klappte zusammen.
Sie fiel auf Hände und Knie und sah, dass er einen Minirock trug, der fast dieselbe Farbe wie seine Haut hatte. Ein Messer steckte in einer Scheide, die an seinem Gürtel baumelte. Seine Füße steckten in Tennissocken und blauen Turnschuhen.
Er trat auf ihre Hand, die die Waffe hielt. Vor Schmerz öffnete sie den Mund, doch sie hatte nicht genug Luft, um zu schreien.
Er beugte sich vor, packte sie bei den Haaren und riss ihren Kopf nach hinten. »Hallo, Jody«, flüsterte er. »Ich bin Simon. Erinnerst du dich an mich?«
Sie konnte nicht antworten. Sie kämpfte darum, wieder Luft in ihre Lunge zu bekommen.
Natürlich erinnerte sie sich an ihn.
»Wir werden eine
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