Die Jagd nach dem Meteore
ausnützen. Das nun unmittelbar bevorstehende Ereignis gestattete ihnen nicht mehr, eine Minute auszuruhen. Nachdem sie noch, gegen halb elf Uhr des Abends, den Sonnenuntergang beobachtet hatten, sahen sie auch, drei Stunden später, das Tagesgestirn an einem völlig wolkenlosen Himmel wieder auftauchen.
Der Fall erfolgte genau zu der von Zephyrin Xirdal vorausgesagten Stunde. Um sechs Uhr siebenundfünfzig Minuten fünfunddreißig Sekunden zerriß ein blendender Lichtschein den Himmelsraum des Nordens der Insel, der Herrn Lecoeur und seinem Patenkind, die von der Tür ihrer Hütte aus nach dem Horizonte starrten, fast das Sehvermögen raubte. Fast gleichzeitig ließ sich dem dumpfes Donnerkrachen vernehmen, während die Erde unter dem furchtbaren Stoße erzitterte.
Das Meteor war herabgestürzt.
Als Zephyrin Xirdal und Herr Lecoeur wieder sehen lernten, war das erste, was sie wahrnahmen, der fünfhundert Meter vor ihnen liegende Block gleißenden Goldes.
»Er brennt! stammelte Lecoeur in tiefster Erregung.
– Ja,« antwortete Zephyrin Xirdal, außerstande etwas andres als dieses einsilbige Wort hervorzustoßen.
Allmählich fanden jedoch beide ihre Ruhe wieder und gaben sich genaue Rechenschaft über das, was sie sahen.
Die Feuerkugel befand sich tatsächlich in glühendem Zustande. Ihre Temperatur mochte wohl über tausend Grad betragen und dem Schmelzpunkte für Gold nahe sein. Deutlich zeigte sich auch ihre poröse Struktur und die Sternwarte in Greenwich hatte sie zutreffend mit einem Schwamme verglichen. Die Oberfläche, die durch Ausstrahlung gegen die Kälte des Weltraumes eine dunkle Färbung erhalten hatte, durchsetzend, zeigte sich eine Unmasse von Kanälen, worin das Metall in heller Rotglut glänzte. Geteilt, einander kreuzend und in den vielfältigsten Windungen verlaufend, bildeten diese Kanäle eine Anzahl großer Hohlräume, denen die überhitzte Last pfeifend entströmte.
Obgleich sich die Feuerkugel bei ihrem rasenden Falle stark abgeplattet hatte, war ihre ursprüngliche Kugelform doch noch zu erkennen. Der obere Teil erschien noch regelmäßig abgerundet, während die verdrückte, halb zerschmetterte Unterseite den Unregelmäßigkeiten des Erdbodens entsprach.
»Sie wird aber ins Meer gleiten!« rief Lecoeur nach einigen Augenblicken.
Sein Patenkind schwieg dazu.
»Du hattest gesagt, sie würde fünfzig Meter vom Ufer niederfallen!
– Davon ist die eine Seite, da dabei ihr halber Durchmesser mitzurechnen ist, nur zehn Meter entfernt.
– Zehn sind aber keine fünfzig.
– Sie wird durch den Sturm etwas abgelenkt worden sein.«
Zu einer weitern Aussprache kam es zwischen beiden nicht, sie starrten nur schweigend die goldne Kugel an.
Lecoeur empfand letzt gewiß eine ganz berechtigte Unruhe. Die Feuerkugel war nur zehn Meter vom äußersten Uferrande auf dem abschüssigen Boden niedergefallen, der diese Spitze mit der übrigen Insel verband. Da ihr Radius – nach der zutreffenden Angabe der Greenwicher Sternwarte – fünfundfünfzig Meter maß, reichte sie fünfundvierzig Meter ohne Stütze frei hinaus. Die durch die Hitze schon erweichte gewaltige Metallmasse, die auf schiefer Unterlage ruhte, war sozusagen über das Steilufer hingeglitten und hing frei und geneigt bis auf ein kleines Stück über der Meeresfläche. Der andre, in den Felsboden buchstäblich eingegrabene Teil hielt nur noch das Ganze zusammen.
Da die Metallmasse sich nicht weiter senkte, mußten beide Hälften im Gleichgewichte sein. Jedenfalls war dieses Gleichgewicht aber sehr leicht zu stören, und der geringste Stoß drohte die kostbare Masse vollends ins Meer zu stürzen. Glitt sie aber einmal den Abhang hinunter, so hätte sie keine Macht der Erde mehr aufhalten können und sie verschwand dann unwiderruflich im Meere, das sich über ihr schloß.
Ein weitrer Grund, sich zu beeilen, dachte plötzlich Lecoeur, als er sich einigermaßen gesammelt hatte. Es war ja die reine Torheit, hier zum großen Nachteil für seine Interessen die Zeit mit einem nutzlosen Anschauen zu vergeuden.
Ohne noch eine Minute zu verlieren, lief er hinter das Häuschen und hißte die französische Flagge an einem Maste, der hoch genug war, von den vor Upernivik liegenden Schiffen aus gesehen werden zu können. Wir wissen schon, daß dieses Signal bemerkt und verstanden wurde. Der »Atlantic« war sofort ausgelaufen, die nächste Telegraphenstation aufzusuchen, durch die dann an die Adresse des Bankhauses Robert Lecoeur, Rue Drouot
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