Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
entgegen. „Sie ist da drin“, verkündete er, ohne Zeit und Energie auf einen Gruß zu verschwenden. „ Ihn haben sie schon fortgebracht.“
„Wohin?“
„Erstmal zu uns in die Dienststelle.“ Er schob geräuschvoll seinen Kaugummi auf die andere Seite. „Wir dachten, es ist nicht besonders klug, ihn die ganze Zeit neben ihrer Leiche sitzen zu lassen.“
Verhoeven nickte und sah sich nach dem Müll neben dem Eingang um. „Was ist das hier? Ein Wochenendhaus?“
Der uniformierte Kollege schüttelte träge den Kopf. „Er wohnt hier.“
„Sie meinen der Verdächtige?“
Und wieder so ein gelangweiltes Nicken. Als ob ihn das Ganze nicht das Geringste anginge. Dann machte er einen Schritt zur Seite. „Bedienen Sie sich.“
Im Inneren der Hütte roch es penetrant nach ungewaschenen Körpern und Ruß. Auf dem Wellblech über ihnen kochte die Mittagshitze, und das alte Holz stöhnte und ächzte unter der starken Sonneneinstrahlung. Verhoeven schätzte, dass die Temperatur in der Hütte mindestens sechsunddreißig Grad betrug.
Es gab nur einen einzigen Raum, dessen hinterer Teil allerdings durch einen schweren grauen Vorhang abgeteilt war. Ein paar provisorisch zusammengenähte Wolldecken, wie Verhoeven bei näherer Betrachtung feststellte. „Und der Mann hat ständig hier gewohnt?“, fragte er ungläubig.
„Ja.“
Verhoeven blieb neben einem Ofen mit zwei völlig verdreckten Kochplatten stehen. „Was ist mit der Frau?“
Dem Opfer, ergänzte er in Gedanken.
„Ja.“
„Ja was?“
„Die hat anscheinend auch hier gelebt.“
„Seit wann?“
Die Arme des Uniformierten machten eine weitschweifige Geste, die wohl Ahnungslosigkeit ausdrücken sollte. „Mutmaßlich seit Jahren.“
Verhoeven runzelte die Stirn. „Was soll das heißen, mutmaßlich?“
Der Mann seinen Blick mit unverwandter Miene. Keine Regung verriet, was er empfand. Ob er überhaupt etwas empfand. Oder dachte. „Zur Person des Opfers liegen uns bislang keine gesicherten Informationen vor“, erwiderte er. „Verschwunden ist sie jedenfalls vor ziemlich genau dreißig Jahren.“
„Was soll das heißen, sie ist verschwunden?“ Allmählich gingen ihm die Hitze und die mühsamen Fragespielchen gehörig auf die Nerven!
„Die Leute hier dachten, sie wäre tot.“ Der Beamte schob sich an ihm vorbei und riss mit einer entschlossenen Bewegung den Vorhang zur Seite, der den Schlafbereich vom Rest der Hütte trennte.
Vor der rückwärtigen Wand stand ein niedriges Bett. Von dort schlug ihnen dumpfer Verwesungsgeruch entgegen. Die Hitze beschleunigte den Verfall rasant, keine Frage. Verhoeven registrierte Fliegen, die erschreckt von der Leiche wegspritzten. Wie in einem schlechten Horrorfilm, dachte er, indem er die Frau betrachtete, die auf dem klapprigen Campingbett lag. „Wie alt ist sie?“
„Kann nicht so alt sein“, entgegnete der Beamte, und Verhoeven verstand, was er meinte, auch wenn der Kollege den Zusatz „wie sie aussieht“ nicht ausgesprochen hatte.
Das hier ist anders, dachte er. Anders als das, was ich erwartet habe.
Schlimmer …
„Ihr Name war Lilli. Lilli Dahl.“
Die Gestalt auf der fleckigen Matratze war dünn. Sie konnte kaum mehr als fünfundfünfzig Kilo gewogen haben. Dennoch war ihr Bauch infolge der Hitze bereits aufgetrieben. Die Augen wölbten sich von innen gegen ihre fest geschlossenen Lider. Die Lippen waren leicht geöffnet. Rings um den Mund entdeckte Verhoeven Spuren von geronnenem Blut. Ansonsten wies die Leiche auf den ersten Blick keine Verletzungen auf.
Lilli Dahls Haar war kurz geschnitten und von einer eigentümlichen Farbe, grau mit einem Hauch von Messing darin. Ein Farbton, der die Vermutung nahe legte, dass die Tote früher einmal rothaarig gewesen war. In ihrer Jugend. Irgendwann in besseren Zeiten. Sie trug eine kleingeblümte Bluse aus billigem Polyester, an der über der Brust zwei Knöpfe fehlten. Verhoeven erkannte den Ansatz eines schlaffen Busens. Die Haut erinnerte ihn an brüchiges Pergament. Und doch, irgendetwas sagte ihm, dass die Frau auf der Matratze jünger gewesen war, als er erwartet hatte. Viel jünger.
Eine alte Frau liegt tot ihn ihrem Bett.
Ein Routinefall .
„Warum haben die Leute angenommen, dass sie tot ist?“
Die Antwort seines Begleiters war ebenso knapp wie eigenartig: „Weil sie Jasper Fennrich geheiratet hat.“
„War der Mann als gewalttätig bekannt?“
Der Andere zuckte die Achseln. „Das vielleicht nicht gerade. Aber soweit ich
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