Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
hat er gesagt?“
Der Beamte zog einen Notizblock aus seiner Brusttasche. „Ich habe sie getötet“, las er mit unbeteiligter Stimme ab. „Sie liegt im Weiherhaus. Wäre besser, Sie schicken jemanden vorbei.“
„Er nannte nicht seinen Namen?“
„Ich glaube nicht.“
„Sie glauben?“
„Ich bin nicht sicher.“
Verhoeven seufzte. „Aber es gibt doch bestimmt eine Aufzeichnung dieses Anrufs, oder?“
„Hmmm.“ Er knackte auf seinem Kaugummi herum. „Wahrscheinlich.“
„Dann brauche ich eine Kopie davon. Und…“ Verhoeven unterbrach sich, als er ein gedämpftes Motorengeräusch wahrnahm, das sich in zügigem Tempo der Hütte näherte.
Die Reifen holperten knirschend über den Schotter. Nur Augenblicke später wurde eine Tür zugeschlagen, und Winnie Hellers schwere Schritte polterten ins Zimmer.
„Tschuldigung“, rief sie fröhlich. „Aber die Herfahrt war die reinste Katastrophe. Ich fürchte, ich habe mich total verfranst.“
„Kein Problem.“
„Und hier?“
Verhoeven winkte sie zu sich. „Sehen Sie selbst.“ Und an den Uniformierten gewandt setzte er hinzu: „Meine Kollegin, Frau Heller.“
Der Dorfpolizist tippte sich grüßend an die Stirn, doch Winnie Heller ignorierte ihn einfach.
Sie war siebenundzwanzig Jahre alt und arbeitete jetzt seit einem knappen Jahr mit Verhoeven zusammen, nachdem dessen langjähriger Partner Karl Grovius überraschend an einem Schlaganfall gestorben war.
Verhoeven vermisste seinen Mentor noch immer schmerzlich, vor allem jene zeitlichen und gedanklichen Spielräume, die sich in der Zusammenarbeit mit einem so erfahrenen und führungsstarken Kollegen quasi von selbst ergeben hatten. Mit Winnie Heller hingegen war er auch Monate nach ihrem ersten gemeinsamen Fall noch immer nicht richtig warm geworden. Schlimmer noch: In ihrer Gegenwart hatte er beständig das Gefühl, sich in Acht nehmen, jeden Schritt, jedes einzelne seiner Worte bedenken zu müssen. Und niemals danebenliegen zu dürfen …
„Gütiger Gott, was für ein Gestank“, stöhnte sie, indem sie forschen Schritts an das Campingbett trat.
Verhoeven war aufgefallen, dass sie sich grundsätzlich jede Leiche ganz genau ansah. Vielleicht, weil sie als Frau und noch dazu als jüngste im Team keine Schwäche zeigen wollte. Vielleicht auch, weil es ihr tatsächlich nichts ausmachte, in zerstörte, misshandelte oder gar halbverweste Gesichter zu blicken.
Seine Augen folgten einem Schweißtropfen, der an ihrem Hals hinunter rann und in ihrem üppigen Dekolletee versickerte, und er wunderte sich, wie sauber und frisch sie trotz allem wirkte. Sie trug ein dunkelblaues Vollachseltop und eine weit geschnittene Hose im Safaristil. Außerdem hatte sie ein zerknittertes weißes Leinenjackett über dem Arm.
„Rufen Sie Lübke an, damit er ein paar von seinen Leuten herschickt“, sagte er, weil es ihn störte, wie genau sie sich Lilli Dahl ansah. „Sie sollen hier alles auf den Kopf stellen und sich am besten auch gleich auf dem Grundstück umsehen.“
Hermann-Joseph Lübke war der Leiter der Spurensicherung.
„Wozu die Mühe?“, fragte der Dorfpolizist. „Es ist doch alles klar.“
„Finden Sie?“, versetzte Verhoeven, während seine Kollegin bereits telefonierte.
„Wieso nicht? Fennrich hat gestanden.“
„Er hat gesagt, dass er seine Frau getötet hat.“
„Ist das nicht dasselbe?“
Verhoeven verzichtete darauf, diesen Punkt weiter zu diskutieren. „Wo sind die beiden eigentlich zur Toilette gegangen?“
„Hinter dem Schuppen gibt es eine Art Plumpsklo.“
„Das regelmäßig geleert wird?“
„Nee, nicht so ein Ding mit Sickergrube und so.“
„Sondern?“
„Is‘ wohl so `ne Art Eigenkreation. Sie wissen schon, mit einem von diesen Behältern, wie man sie von Campingtoiletten kennt.“
Verhoeven nickte und sah wieder aus dem Fenster. Der Mohn stand vollkommen unbewegt, und er dachte an eine Geschichte von Rainer Maria Rilke, die er als Junge gelesen hatte. Eine sentimentale kleine Story war das gewesen. Von einem ungeliebten Kind, das niemand vermisste und das seine Tage strickend inmitten eines riesigen Mohnfeldes verbrachte und sich mit den Blumen unterhielt.
Seine Augen wanderten über den Steg, hinaus aufs Wasser.
War Lilli Dahl ein solches Kind gewesen? Ungeliebt und schließlich gar vergessen? Das Mädchen aus der Geschichte war auf der Flucht vor einem wütenden Pächter in eine seiner Stricknadeln gefallen und verblutet. Und Lilli? Wie war sie
Weitere Kostenlose Bücher