Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
Erde lag. Vor dem Tankwagen waren Kampfpanzer diesen Weg gefahren; ihre Ketten hatten die Straße aufgerissen und die Route unübersichtlich und schwer befahrbar gemacht. Der Tankstutzen des Tankwagens war abgebrochen. Das Benzin hatte die Straße überspült.
Soldaten hatten den Streckenabschnitt, an dem das Benzin floss, sofort abgesperrt und seine Säuberung eingeleitet, doch ein Funke hatte Treibstoffdunst entzündet, und die ganze Gegend war in einem glühendheißen Blitz hochgegangen. Die Gebäude am Unfallort hatten zuerst in Flammen gestanden, und der vorherrschende Wind hatte die Flammen über weitere Häuserblocks der Stadt getragen. Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Menschen wurden vermisst und waren vermutlich tot. Viele Tausend andere waren verletzt.
Rebecca Hall wischte sich den Schweiß von der Stirn und hielt kurz inne, um Luft zu holen. Die zweiundzwanzig Jahre alte Freiwillige trug ein schmutziges T-Shirt voller Flecken und hatte sich ein Band mit dem Zeichen des Roten Kreuzes um den Arm gebunden. Sie hatte jetzt neun Stunden lang Wasser zu Brandopfern gebracht und denen, die es am dringendsten brauchten, Trost, die Säuberung ihrer Wunden und das Verabreichen von Schmerzmitteln angeboten. Ihre Patienten hatten Wasser bekommen, doch Rebecca selbst hatte noch keinen Gedanken daran verschwendet, selbst etwas zu trinken.
Sie spürte die Hitze des Feuers in siebenhundert Metern Entfernung. Es bewegte sich parallel zu ihrer Position, doch die Feuerwehrleute und Soldaten hatten geraten, auf eine Evakuierung vorbereitet zu sein, sobald der Wind sich drehte. Das Feuer und die tägliche Hitze Ägyptens reichten auch im Dezember aus, dass man sich schwindlig fühlte.
» Becky!«, rief ein Arzt. » Wir brauchen mehr Mull aus dem Laster!«
Rebecca war zu erschöpft, um den Kopf zu heben und nachzuschauen, welcher Arzt es war.
» Beeil dich, Becky!«
Sie fuhr langsam zu dem Reservelaster herum, der ihrem kleinen Lazarett als Nachschubdepot diente. Sanitäter händigten den vielen Dutzend anderen Freiwilligen, die das Heck des Lasters mit ausgestreckten Armen umschwärmten, Bandagenpäckchen, Morphium und mit Wasser gefüllte Feldflaschen aus. Die Leute schubsten und schrien sich an, wenn sie nach dem Zeug griffen, das ihnen zugeworfen wurde.
Rebecca bahnte sich eine Gasse durch die Menge zum Laster hin. Als sie das Fahrzeug erreicht hatte, zog sie am Hosenbein einer anderen Sanitäterin.
» Sarah! Sarah! Ich brauche Mullbinden! Unsere Mullbinden werden knapp!«
Die Sanitäterin bückte sich und kramte in den Vorräten. Dann kam sie zurück. » Wir haben kaum noch welche, Becky! Es sind nur noch drei Kartons da– und vielleicht noch zwanzig Flaschen Wasser! Was sollen wir nur machen?«
» Verteile alles, dann musst du dich anderweitig behelfen!«, rief Rebecca und riss die Binden an sich, bevor sie ihr jemand wegnehmen konnte. » Schneide Kittel und alles andere Zeug in Streifen! Und schick ein paar Läufer raus, damit sie die Feldflaschen füllen!«
» Die Rohrleitungen funktionieren nicht mehr!«, rief Sarah.
» Dann sollen sie an den Fluss gehen! Ich muss das hier jetzt den Ärzten bringen!« Rebecca hielt kurz inne, klemmte sich das Verbandszeug unter den Arm und schaute zu ihrer Freundin hinauf. » Wirst du mit der Sache hier fertig?«, fragte sie.
» Ich krieg das schon hin.«
Rebecca kämpfte sich erneut durch die Menge und stolperte ihrem Posten entgegen. Ihr Mund fühlte sich an wie Sandpapier. Ihr Blickfeld waberte. Falls ihre Augen keinen Schabernack mit ihr trieben, kamen die Feuersbrünste näher. Wie auch die Flüchtlinge: Ein endloser Strom von Menschen ergoss sich durch die Straße zur Hilfsstation des Roten Kreuzes. Ägyptische Heeressoldaten, mit Gewehren bewaffnet, wiesen den Leuten den Weg dorthin, wo sie Hilfe fanden. Einige Leute stritten mit den Soldaten oder versuchten, sich an ihnen vorbeizudrängen.
Rebecca sah einen Mann, der einen Hieb mit einem Gewehrkolben abbekam. Er fiel zu Boden. Eine Frau schrie auf und kniete sich neben den Besinnungslosen. Der Soldat, der ihn niedergeschlagen hatte, deutete mit lauten Worten auf das Feuer. Polizisten mit Schilden versuchten die Unverletzten daran zu hindern, zum Hilfslazarett hinüberzugehen, während diese ebenso verzweifelt darauf bedacht waren, zu ihren verletzten Familienangehörigen und Freunden zu gelangen.
» Helft meiner Kleinen!«, schluchzte eine Frau, die auf Rebecca zustolperte. » Kann bitte jemand meiner
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