Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
reißenden Fingernägel hineinschlug.
» An dieser Stelle sind mehr Überträger aufgetaucht, als die Flüchtlinge erwartet haben«, kommentierte Julie. » Bevor sie sich retten konnten, waren die meisten vom Meer abgeschnitten und infiziert. Man rechnet mit zwölftausend Toten.«
Der Film zeigte nun eine andere Perspektive. Diesmal stand die Sonne niedriger am Himmel, und die Wolken röteten sich allmählich in den frühen Abendstunden.
» Vier Stunden später«, sagte Julie, » lebte niemand mehr.«
Die Überlebenden am Strand waren restlos verschwunden. An ihrer Stelle stand eine neue Meute am Ufer und bis zum Bauch im Wasser.
Überträger.
Es waren Tausende und Abertausende.
Sie krallten sich in den Himmel und ineinander, eine wimmelnde Horde Infizierter. Da und dort stürzten sie sich aufeinander, fauchten sich an, packten sich, fielen ins Wasser und rollten zischend umher, während sie sich zerkratzten und einander bissen. Die meisten aber standen wie angenagelt vor den küstennahen Booten. Sie wackelten mit dem Kopf, als suchten sie einen Weg, der sie zu den Lebenden an Bord brachte. Sie kamen offenbar nicht auf die Idee, zu ihnen zu schwimmen. Ein, zwei Gestalten ließen sich ins Wasser fallen, doch sie tauchten schnell wieder auf und zogen sich dorthin zurück, wo es weniger tief war.
Die Bandaufzeichnung war zu Ende. Julie nahm wieder das Bild ein.
» Beamte der US -Regierung haben die Erlaubnis erteilt, den Überlebenden des sogenannten Kapstadt-Gemetzels Hilfe zu schicken. Die USS Ronald Reagan ist heute mit Kurs Südafrika ausgelaufen. Sie ist das Flaggschiff eines Verbandes, der sich östlich der Bermudas sammelt. Was die Eindämmung des Morgenstern-Erregers anbetrifft, stehen noch viele Entscheidungen bevor. Die Kampfeinheiten des Flugzeugträgers stehen in Bereitschaft und warten auf den Befehl, kontaminierte Gebiete zu entvölkern. Wir sind nun über Satellit mit Lieutenant Colonel Anna Demilio vom Medizinischen Forschungsinstitut für Infektionskrankheiten der US -Army verbunden. Willkommen, Colonel.«
Die Sendeleitung im Studio teilte den Bildschirm. Julies lächelnde Miene belegte eine Hälfte; die andere zeigte eine körnige Aufnahme von Anna Demilio. Sie war Anfang vierzig, noch immer attraktiv und trug einen Kampfanzug. Im Gegensatz zu Julie lächelte sie nicht.
» Danke, Julie.«
» Die Ausbreitung dieser Krankheit hat epidemische Proportionen angenommen, Colonel«, sagte Julie. » Ist die Geschwindigkeit der Kontamination etwas, das man hätte vorhersagen oder verhindern können?« Sie schob irgendwelche Notizzettel vor sich auf dem Tisch herum.
» Tja, der Morgenstern-Erreger ist ein übler Bastard, wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen wollen. Er hat das Potenzial, sich unter bestimmten Bedingungen in einem erstaunlich kurzen Zeitraum auszubreiten. Es ist aber wahrscheinlich, dass die schnellste Periode der Epidemie schon hinter uns liegt. Normalerweise würde der Erreger länger als eine Woche brauchen, um in einem Wirtskörper zu inkubieren, bevor man an diesem erste Symptome bemerkt. Der Nullfall, damit meine ich den Menschen, der sich die Krankheit am Anfang des Ausbruchs als Erster zugezogen hat, ist wahrscheinlich in dieser Zeit ganz normal herumgelaufen und hat den Virus an jene Leute weitergegeben, die ihm begegnet sind, bevor sie in ihm ausbrach. Eine Woche später erkrankten dann auch alle Überträger, die er angesteckt hat. Die zweite Generation war wahrscheinlich für die kleineren Ausbrüche in Kinshasa und Mombasa am Anfang dieses Monats verantwortlich. Aber diese Generation hatte schon zahlreiche andere Menschen infiziert, bevor sie Symptome zeigte, und so weiter. Nun, da der Erreger sich auf dem größten Teil Afrikas ausgebreitet hat, müsste sich die Kontamination etwas verlangsamen, da die meisten, wenn nicht gar alle Infizierten sich noch auf dem Kontinent befinden und die Gefahr verdeckter Kontamination deutlich zurückgegangen ist. Um Ihre erste Frage zu beantworten… Ja, wir hätten die Ausbreitung eines Erregers wie Morgenstern vorhersagen können. Wir haben es auch schon getan. Aber es gibt keine sichere Methode, Seuchen dieser Art am Ausbruch zu hindern.«
» Hätte das CDC oder das USAMRIID in der Frühphase nicht Teams aussenden können, um die Seuche einzudämmen?«, fragte Julie.
» Das hätten wir tun können und sollen«, erwiderte Anna und faltete die Hände. » Wir haben es aber nicht getan, und zwar nur deswegen, weil die Krankheit zu neu
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