Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
unkontrollierbaren Ausbruch gegenübersehen. Außerdem dürfen wir keine Infektionen auf subtileren Wegen vergessen– wenn man kontaminiertes Blut berührt und sich dann die Augen reibt, wäre man zwar infiziert, würde aber erst nach neun bis zehn Tagen Symptome zeigen, da das Virus sich beträchtlich multiplizieren würde, bevor es Dominanz erringt. Wer weiß, wo solche Überträger sein könnten? Und wie können wir sie identifizieren, bevor sie der Krankheit erliegen?
Ich muss gestehen, dass ich hinsichtlich Deiner Behauptung, der Wirt, der Dr. Mayer infizierte, wäre tot gewesen, höchst skeptisch war. So etwas ist medizinisch unmöglich. Aber ich vertraue Dir bis zu einem gewissen Grad, und so habe ich beschlossen, die Theorie zu prüfen.
Wir haben ein Experiment durchgeführt, das Du vermutlich nicht billigen würdest. Die amerikanische Öffentlichkeit würde es ebenso wenig gutheißen wie die internationale Gemeinschaft. Aber ich schlage Dir ein Geschäft vor, General: Du erzählst niemandem davon, und ich erzähle niemandem, dass Du mir geheimes Material offenbart hast.
Das, was Du über den Wachmann und die Leichenhalle gesagt hast, hat mich zum Nachdenken gebracht. Die Bisse und Kratzer müssten den Morgenstern-Erreger auf den Wachmann übertragen haben, bevor er an Blutverlust starb. Es müsste noch genügend Blutdruck vorhanden gewesen sein, um eine gewaltige Virenmenge in sein Hirn zu transportieren. Während der nächsten paar Stunden müsste das Virus irgendetwas verändert haben, obwohl der Wachmann physisch tot war… Das könnte die Ursache für sein scheinbares Auferstehen gewesen sein. Vielleicht war er auch noch nicht ganz tot, und das Virus hat ihm genug zornbetriebene Kraft verliehen, um wieder aufzustehen. Du weißt doch, wie unterversorgt und schlecht ausgebildet manche Rettungssanitäter da unten sind– vielleicht haben sie ihn fälschlich für tot erklärt. Aber es gab wirklich nur eine Möglichkeit, diese Theorie zu prüfen.
Wir haben Dr. Mayer heute an eine Transportliege fixiert und die Funktionen seiner lebenswichtigen Organe gemessen. Es war nicht ganz einfach; Dr. Mayer hat sich dem Erreger gänzlich unterworfen und ist ziemlich feindselig. Er ist stark, schnell und scheint sich um Schmerzen keinen Kopf zu machen. Wir haben seinen Standardherzschlag, seine Atmung und seinen Blutdruck gemessen. Dann haben wir ihm mit einem Jagdgewehr, das Jack mitgebracht hat, durch die Brust geschossen. Er starb ziemlich schnell– und auch schmerzlos. Seine Funktionen standen auf null. Wir haben seine Leiche einige Stunden beobachtet und wollten gerade aufgeben, als wir einen Herzschlag maßen. Bloß einen. Danach zeigte der Kardiograph nur eine gerade Linie. Wir warteten. Nach etwa einer Minute kam dann der nächste Schlag. Danach leuchtete das EKG wie ein atombetriebener Weihnachtsbaum. Wir hatten Dr. Mayer mit einer .30-06 aus nächster Nähe in die Brust geschossen. Er war seit fast vier Stunden amtlich tot, aber wir maßen Hirnaktivität und Herzschlag– wenn auch einen schrecklich langsamen. Die Atmung blieb bei null.
Einige Minuten später war Dr. Mayer hellwach. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass er nun viel langsamer auf uns wirkt. Könnte an der Leichenstarre liegen. Der größte Teil seines Körpers war wohl, bevor er wieder erwachte, bereits im Zustand der Verwesung. Das wissen wir aber erst, wenn wir ihn länger beobachtet haben. Auf jeden Fall ist er nun weniger gewandt als zu dem Zeitpunkt, an dem wir ihn umgebracht haben.
Vielleicht kann diese Information Dir helfen. Ich weiß nur eins: Ich habe einen Toten ins Leben zurückkehren sehen. Ich habe die ansteckenden Eigenschaften dieser Krankheit gesehen und versucht, die Regierung zu warnen. Und ich habe erfahren, dass sie mich einfach ignoriert. Jetzt geht es los, und wir sind völlig unvorbereitet. Ich verlasse nun das Labor und genehmige mir einen Martini.
Oder zehn.
Lt. Col. Anna Demilio
US Army, Medizinisches Forschungsinstitut für Infektionskrankheiten
/Ende
KORRESPONDENZÜBERWACHUNG BEENDET_
Kairo
21 . Dezember 2006
17 . 34 Uhr
Kairo brannte.
Das Feuer hatte sich in nur wenigen Stunden über sechzehn Häuserblocks ausgebreitet und ein Gebäude nach dem anderen verzehrt. Die Feuersbrunst hatte begonnen, als ein Treibstofftankwagen des Heeres in südlicher Richtung zum Viktoriasee unterwegs gewesen war. Er war durch die Straße gekommen und in ein Abwasserrohr eingebrochen, das nicht tief genug unter der
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