Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
sind, nachdem wir sie einigen professionelleren Methoden unterzogen haben.«
16 . 21 Uhr
Julie wurde grob in eine winzige feuchte Zelle geworfen. Sie sackte stöhnend in einer Ecke zusammen. Hinter ihr knallten die Bundesagenten die Eisentür zu und schlossen sie ab.
» Ruhen Sie sich gut aus, Miss Ortiz«, rief Sawyer. » Wir sind bald wieder da und setzen unser Schwätzchen fort.«
Julie hörte sie fortgehen, wobei sie kicherten und sich gegenseitig in die Rippen stießen.
Ihre Stimmen wurden leiser. Schließlich verstummten sie ganz. Julie wollte sich aufrichten, doch ihr Arm gab vor Erschöpfung nach, und sie fiel wieder auf den Boden. Sie drehte sich langsam auf den Rücken und blinzelte in der Dunkelheit.
Sie konnte sich nur verschwommen an die letzten Stunden erinnern, doch an manche Einzelheiten sehr gut. Das Natriumpentothal hatte anfangs gewirkt, doch die Agenten hatten den Fehler begangen, zuerst einige Kontrollfragen zu stellen; simple Dinge, die Julies Kindheit betrafen. Die Droge hatte sie erwärmt und ihr ein unglaublich gutes Gefühl hinsichtlich ihrer Lage vorgegaukelt. Deswegen hatte sie die Fragen beantwortet. Gegen weitere Fragen hatte sie sich jedoch gewehrt. Nun kannten sie fast alle Einzelheiten ihres jungen Lebens, einschließlich der Geschichten über ihren Kater Pogo und die katastrophale Feier ihres zehnten Geburtstags.
Die Agenten hatten wütend verlangt, dass sie ihre Fragen beantwortete. Julie hatte auf mürrisch geschaltet und darauf beharrt, dass sie es nicht verdienten, da sie nichts über Pogo hören wollten.
Vielleicht, dachte sie, hätte ich ihnen einfach alles sagen sollen.
Als die Wirkung der Droge abzuflauen begann, hatten die Männer andere Methoden angewandt.
Julie lag auf dem feuchten Zellenboden und berührte ihre Wange vorsichtig mit der Hand. Sie keuchte auf und zog die Hand schnell zurück. Ihre rechte Gesichtshälfte war verbrannt– nicht schlimm, aber immerhin. Ihr fiel ein, dass die Agenten den Scheinwerfer näher an sie herangeschoben, fast an ihren Kopf gedrückt und knapp eine Stunde lang dortgelassen hatten. Die Hitze hatte ihr wehgetan.
Es hatte weitere Versuche gegeben, ihr Antworten zu entlocken. Die Agenten hatten ein unglaubliches Talent dafür, neue und schmerzhafte Verwendungsmöglichkeiten für Büroklammern zu erfinden. Julie streckte langsam ihre Finger aus. Die blutig roten Linien unter ihren Nägeln, wo die Agenten die Klammern zum Einsatz gebracht hatten, waren kaum zu sehen.
Ihr war klar, dass sie heute noch mal davongekommen war. Abgesehen von ihrem roten Gesicht und dem getrockneten Blut an ihrer Lippe und an ihren Händen war sie praktisch unversehrt. Julie hatte Geschichten über Verhöre gehört– über echte Verhöre, keine Hollywood-Quatschverhöre. Man würde ihr sicher keine Gliedmaßen abschneiden oder ihr ernsthafte Schäden zu fügen. Normalerweise wurde dafür gesorgt, dass der Verdächtige, den man folterte, am Leben und gesund blieb.
Stromschläge. Schlafentzug. Hunger. Isolation.
Draußen ging die Welt aus dem Leim. Hier drin– wo auch immer sie war – ging es Julie Ortiz kaum anders.
Sinai
8 . Januar 2007
15 . 23 Uhr
Mbutu Ngasy blinzelte die Wüstenhelligkeit aus seinen Augen und schaute mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne.
» Ich sehe sie nicht«, sagte er. Sein Englisch war ausgezeichnet, und obwohl man seinen Akzent nicht überhören konnte, verstand Rebecca ihn sehr gut. Normalerweise sprach er Swahili, doch in Kenia war Englisch in Behörden und Schulen die Amtssprache. Er hatte sie als Kind gelernt und in seinem Beruf als Fluglotse in Mombasa gut anwenden können.
» Sie müssten längst hier sein«, sagte sie. » Hoffentlich ist nichts passiert.« Rebecca ging auf und ab, trat ein Steinchen aus dem Weg und verschränkte die Arme vor der Brust.
» Denen ist schon nichts passiert«, sagte Mbutu, als müsse damit alles erklärt sein.
» Soldaten sind auch keine Übermenschen«, erwiderte Rebecca.
» Sie haben sich verspätet«, wiederholte Mbutu. » Aber passiert ist ihnen nichts. Dies ist ein geheiligter Ort. Hier wird ihnen nichts passieren. Und uns auch nicht.«
» Was? Hör bloß mit dem frommen Gelaber auf, Mbutu! Davon hab ich von den Flüchtlingen genug gehört. Die quaken nur vom Ende der Welt…«
» Bin nicht fromm. Nun ja, vielleicht ein bisschen. Ich glaube, wie viele andere auch, an die Macht des Spirituellen, aber nicht an Gott. Dieser Ort hier hat viel Kraft.«
» Wieso? Hier
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