Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
gibt’s doch nur Sand und Felsenhügel. Hier ist es öde, heiß und leer.«
» Da«, sagte Mbutu und deutete über Rebeccas Schulter. » Das da ist der Berg Sinai. In eurer Mythologie hat Gott dort zu den Menschen gesprochen. Deswegen sage ich, dass es hier viel Kraft gibt.«
» Ach ja. Die Zehn Gebote. Charlton Heston. Jetzt fällt’s mir wieder ein.«
» Charlton Heston?«, fragte Mbutu langsam. » Hat der Berg bei euch einen anderen Namen?«
» Nein, wir nennen ihn auch den Berg Sinai«, sagte Rebecca. » Es ist nur…Ach, egal.« Sie drehte eine neue Runde.
Mbutu musterte sie aus dem Augenwinkel.
» Du bist sehr ungeduldig«, sagte er kurz darauf.
Rebecca musterte ihn finster, doch seine Antwort bestand aus einem breiten Grinsen.
» Ich bin’s gewohnt zu arbeiten, statt rumzustehen«, sagte Rebecca. » Ich muss was zu tun haben! Deswegen bin ich überhaupt rübergekommen!«
» In deinem Land ist es langweilig?«, fragte Mbutu.
Rebecca lachte. » Keine Ahnung.«
» Kann man sich da nicht vergnügen? Kann man da nichts spielen? Gibt es keine Bücher? Hast du keinen Ehemann?« Mbutu zählte jeden einzelnen Punkt an den Fingern ab.
» Einen Ehemann?«, wiederholte Rebecca. » Willst du mich auf den Arm nehmen? Ich bin erst zweiundzwanzig!«
» Nein, ich will dich nicht auf den Arm nehmen«, erwiderte Mbutu mit todernster Miene. » Du bist nicht verheiratet?«
» Nein, verdammt!«
» Ach. Ich hab’s vergessen. Bei euch heiraten viele Menschen erst später. Ja, jetzt verstehe ich, dass es dir langweilig ist.«
Rebecca lachte. » Ach, halt die Klappe.«
» Mach ich vielleicht«, sagte Mbutu und verfiel in Schweigen.
» Ach, komm, du weißt doch, dass ich nur Spaß mache.« Rebecca stupste sanft gegen seinen Arm.
» Ja. Aber für Scherze ist jetzt eine schlechte Zeit.«
» Nein«, sagte Rebecca. » Jetzt ist die beste Zeit dafür. Ich kann verstehen, dass man humorlos wird, wenn alles glattläuft. Dann braucht man keinen Humor. Wenn man alles hat, was man braucht, wenn die Welt mit sich im Reinen ist, wenn man einen Wagen, ein Haus und zweieinhalb Kinder hat, gibt’s wirklich keinen Grund, sich über irgendwas lustig zu machen. Aber ich glaube, wenn alles auseinanderfällt oder man sich an einem Ort wiederfindet, an dem die Verhältnisse haarig sind, ist es höchste Zeit, sich darüber lustig zu machen. Die Soldaten reden nur noch darüber, dass sie dem Tod ins Auge schauen. Wenn ich dem Tod ins Auge schaue, werde ich ihn auslachen. Wenn ich es nicht tue, löse ich mich einfach nur in Wohlgefallen auf.«
» Der Tod ist nichts, worüber man lacht«, sagte Mbutu.
» Nein, ist er nicht. Er ist was Ernstes. Und deswegen sollte man über ihn lachen.«
» Ich kann deiner Logik nicht folgen.«
» Ach, verdammt.« Rebecca wischte sich ihr hellblondes Haar aus dem Gesicht. » Wie kann man es erklären? Es ist so, als würde man sagen: Ich werde vielleicht sterben, aber ich werde mit einem Lachen und mit Würde erlöschen.«
» Lachen ist keine Form von Würde.«
» Gott, bist du stur«, sagte Rebecca. » In meinem Regelheft schon, verstehst du?«
» Wenn du darauf bestehst.«
» Warum? Ich möchte dich was fragen. Angenommen, du liegst im Sterben oder wüsstest, dass du sterben musst– wie möchtest du am liebsten abtreten?«
Mbutu dachte ziemlich lange über diese Frage nach. Schließlich erwiderte er: » Ich möchte im Schlaf sterben, wie mein Großvater. Er hat nichts gemerkt, deswegen hat er keine Reue und keinen Kummer darüber empfunden, uns zurückzulassen. Und wir, die ihn überlebt haben, waren beruhigt, weil wir wussten, dass er friedlich gestorben war und dabei vielleicht sogar von etwas Schönem träumte.«
Rebecca nickte langsam.
» Das ist ein schöner Tod«, sagte sie.
Mbutu musterte sie erwartungsvoll.
» Was ist?«, fragte sie nach einem Moment.
» Nun bist du dran, die Frage zu beantworten.«
» Oh«, machte sie. » Tja…Ich schätze, so wäre es mir auch am liebsten. Aber, na ja, dafür gibt’s keine Garantie. Könnte ja auch sein, dass ich in einem Autowrack draufgehe, erschossen werde oder durch einen Stromschlag umkomme. Wenn es so käme, wenn ich dabei wach sein und es bei Bewusstsein erleben müsste, würde ich auch jetzt noch lieber lachend sterben.«
» Vielleicht. Du hast mich an etwas erinnert, was meine Mutter sagte, als ich ein Kind war, nach dem Tod eines Dachdeckers in Mombasa. Er war vom Dach gefallen, denn er hatte sich nicht angebunden. Sie sagte, er
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