Die Jahre der Toten: Roman (German Edition)
nützlicher sein könnten. In solchen Zeiten halten Hochverratsprozesse nur den Betrieb auf.«
» Unsere Grenzen sind dicht.« Derrick schlug sich auf Sawyers Seite. » Die Infektionsfälle sind weit verstreut und außerdem nicht zahlreich. Man wird sie eindämmen. In einem Monat, vielleicht auch in zweien, liegt die Sache hinter uns. Dann geht alles wieder seinen üblichen Gang.«
» Und dann wird man sich allmählich auch fragen, was eigentlich aus Julie Ortiz geworden ist«, sagte Sawyer. » Einen Fall dieser Art kann man nicht für immer und ewig geheim halten. Da wir gerade von Verrat sprechen… Schwing solche Reden nicht nochmal, Mason.«
Agent Mason verzog das Gesicht, nippte ein letztes Mal an seinem Kaffee, zerdrückte den Becher und warf ihn in einen nicht weit entfernten Papierkorb. Er schwieg.
» Nun denn«, sagte Sawyer, der zufrieden war, weil das Thema nun abgehakt war. » Wenden wir uns also dem aktuellen Problem zu. Hat jemand Vorschläge zu machen? Neue Verhörmethoden vielleicht?«
» Miss Ortiz’ Profil deutet an, dass sie auf psychologische Taktiken ansprechen könnte«, erwiderte Derrick. » Ich schlage vor, wir machen weiter. Vielleicht sollten wir das Feuchtigkeitsleck im Verlies erweitern und die Lampen um ein paar Watt runterdrehen.«
» Die Einstellungen sind optimal«, warf Mason ein. » In den fünfzig Jahren, in denen wir sie anwenden, haben sie ihren Zweck immer erfüllt.«
» Was aber nicht bedeutet, dass diese Gefangene keinen neuen Standard setzen kann«, meinte Sawyer. » Wir nehmen Derricks Vorschlag an. Wenn du bitte dafür sorgen willst, Mason?«
Mason seufzte und drehte sich mit seinem Stuhl zu einer kleinen Konsole in der Ecke des Raumes um. Er drehte einen schweren Metallknauf nach rechts. Ein zweiter Knauf, der abgegriffener war, wurde kurz nach links gedreht. Die Überwachungsmonitore zeigten, dass es im Kerker dunkler wurde. Die Agenten konnten auch Julie sehen, die sich an die Wand drückte und die Knie zum Kinn hochzog. Als das Licht leicht dunkler wurde, schaute sie sich um. Die Veränderung überraschte sie. Nun, da die Zelle dunkler war, musste es ihr schwerfallen, die Zellenwand gegenüber zu sehen. Das Leck, ein schlau konstruiertes Bewässerungssystem, würde einige Stunden brauchen, bis die Gefangene eine echte Veränderung bemerkte. Die Summe der Handlungen der Agenten war die: Julie Ortiz sollte das Gefühl haben, dass es ihr viel schlechter ging. Damit erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihnen erzählte, was sie wissen wollten.
Plötzlich erloschen die Lichter im Verlies– wie auch in den Räumlichkeiten, in denen die Agenten sich aufhielten. Die Bildschirme und Konsolen blieben erhellt, denn sie wurden von einem eigenen Generator angetrieben. Einen Moment später gingen die Lampen flackernd wieder an und beleuchteten die besorgten Mienen der Agenten, die sich gegenseitig anschauten.
» Das war mal was anderes«, sagte Derrick.
» In diesem Gebäude dürfte es eigentlich keinen Stromausfall geben«, sagte Mason. » Die Systeme sind redundant.«
» Vielleicht war’s ein Spannungsabfall im Stromnetz«, meinte Sawyer.
» Hoffentlich gibt’s da draußen keinen Ärger.«
» Was soll der Defätismus?«, sagte Sawyer tadelnd. » Das Militär geht in Stellung, sobald der zivile Aufruhr den Siedepunkt erreicht, und es ist gut genug ausgerüstet, um mit allem fertigzuwerden, was ihm ein Zivilist mit einer Schrotflinte vor die Füße werfen kann. Strom ist im Moment ein wertvolles Verbrauchsgut. Es war ein Spannungsabfall, mehr nicht.«
» Hoffentlich hast du Recht«, sagte Mason.
» Zum letzten Mal, Agent Mason, wir befinden uns im sichersten Gebäude der sichersten Nation der Welt«, gab Sawyer zurück. » Falls irgendetwas passiert, wird es uns zuletzt passieren. Es besteht keine Veranlassung, dass wir aufgrund einer Stromschwankung die Nerven verlieren.«
» Und hinsichtlich unserer gegenwärtigen Aufgabe?« Derrick deutete auf die Monitore.
» Ach ja. Masons ständige Sorge hätte ich fast vergessen.« Sawyer lächelte grimmig. » Wir erhöhen die Frequenz der Verhöre zusätzlich zur Modifikation des Verliesbereiches. Fangen wir damit an, dass wir ihr Sachen an den Kopf werfen, von denen sie nicht weiß, dass wir sie schon kennen. Vielleicht stößt sie das ein wenig aus dem Gleichgewicht.«
» Wie wäre es mit ’ner Runde Böser-Bulle-Guter-Bulle?«, fragte Derrick. » Ist zwar ’ne alte Methode, aber ausprobiert haben wir sie
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